Bochum. Seit anderthalb Jahren steigt die Zahl der nicht lieferbaren Medikamente stark. Die Lage ist ernst. Es gibt zwei Hauptgründe für die Engpässe.
Medikamente zur HIV- oder Krebs- oder Epilepsiebehandlung, Antidepressiva und Schmerztabletten – die Liste von Wirkstoffen, die in Bochum derzeit nicht lieferbar sind, ist lang. „Es ist ein Alptraum“, sagt die Bochumer Kreisvertrauensapothekerin Inka Krude. Seit anderthalb Jahren würden die Lieferengpässe für teils lebenswichtige Medikamente immer weiter zunehmen.
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Diese Engpässe haben laut Krude, Inhaberin der Alten Apotheke 1691 an der Bongardstraße, zwei Hauptgründe. Zum einen dürfen Apotheken aufgrund von Rabattverträgen zwischen Herstellern und Krankenkassen nur bestimmte Medikamente herausgeben. Zum anderen würden viele Wirkstoffe im Ausland, außerhalb der EU, produziert – wodurch sie nicht geliefert werden können.
Medikamentenmangel in Bochum: Hersteller können nicht liefern
„Wir Apotheker müssen diese Rabattverträge von Krankenkassen und Herstellern erfüllen und dürfen nicht einfach ein anderes Medikament mit demselben Wirkstoff rausgeben“, weiß die Kreisvertrauenspolitikerin. Oft sei es so, dass die Hersteller die Ausschreibung einer Krankenkasse gewinnen, dann aber nicht mehr liefern können. Ist das Medikament eines Herstellers mit Rabattvertrag nicht vorrätig, muss Krude Patienten häufig erst einmal wegschicken, um es zu bestellen.
Ist die Lieferung dann aber nicht möglich, bekommt der Patient doch das Medikament einer Firma ohne Rabattvertrag. Sie und ihre Mitarbeiter müssen den Vorgang dokumentieren, da die Apotheke nur so Geld erhält. „Durch Formfehler kommt es so schnell zu einem Minus von 2000 Euro pro Monat“, bedauert die Apothekerin. Sie und die Inhaber anderer Apotheken fordern mehr Transparenz – für ihre Filialen, aber besonders für die vielen Patienten, die unter der Bürokratie leiden. „Eine Idee wäre eine Online-Datenbank, in der direkt kenntlich ist, dass ein Medikament nicht mehr lieferbar ist“, schlägt Krude vor. Auch Rabattverträge mit zehn bis 15 statt nur mit drei Herstellern wären eine Option.
„Zum Teil werden ganze Therapien gefährdet“
Denn lange Wartezeiten können drastische Folgen haben: „Zum Teil werden ganze Therapien gefährdet, wenn Medikamente für die Chemotherapie oder zur HIV-Behandlung nicht herausgegeben werden können“, so die Kreisvertrauensapothekerin.
Ein weiterer Grund für Engpässe sei die Produktion von Medikamenten außerhalb der EU. Das ist laut Krude bei allen Wirkstoffen für Antibiotika der Fall. Zwar sei die Qualität der Wirkstoffe durch hohe Standards auch im Ausland gesichert, die Lieferung sei allerdings deutlich unzuverlässiger.
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600 Arzneimittel sind laut Krude in Bochum nicht lieferbar. Dazu kommt: „Mehr als 50 Prozent der von Engpässen betroffenen Patienten bekommt ein Medikament der zweiten Wahl“, so Krude. Das heißt, er muss Saft statt Tabletten nehmen oder Tabletten mit einer anderen Dosierung. „Das verunsichert die Menschen“, weiß die Inhaberin der Alten Apotheke 1691. Das betrifft einzelne Patienten, aber auch Pflegeheime. Bei der Lieferung an Pflegeheime müsse Medikamentenplan geändert werden – was immer die Unterschrift eines Arztes erfordert. „Das alles kostet viel Zeit“, weiß Krude.
Anzahl der nicht verfügbaren Arzneimittel hat sich verdoppelt
Zehn Prozent ihrer Arbeitszeit musste laut der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände die Mehrheit der Apotheker in ganz Deutschland aufwenden, um bei Engpässen gemeinsam mit Ärzten, Großhändlern und Patienten nach Lösungen zu suchen. Das sei eines der größten Ärgernisse im Berufsalltag – bei über 90 Prozent aller Apotheker in Deutschland. Die Anzahl der nicht verfügbaren Rabattarzneimittel habe sich von 4,7 (2017) auf 9,3 (2018) Millionen Packungen verdoppelt, heißt es im Faktenblatt der Bundesvereinigung weiter.
Was ist ein Kreisvertrauensapotheker?
Die Kreisvertrauensapotheker (KVA) und ihre Stellvertreter fördern unter anderem die Verbindung zwischen der Apothekerkammer und den Kammermitgliedern ihres Kreises. Zudem unterstützen sie die Kammer bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben. Als gewählte Ehrenamtler genießen sie das Vertrauen aller Kollegen.
Bochums Kreisvertrauenapothekerin ist Inka Krude von der Alten Apotheke, ihr Stellvertreter ist Werner Voigt, der seit 2001 im Amt ist.
Die Not ist groß. Bei Inka Krude und im gesamten Stadtgebiet: „Wir haben alle das gleiche Problem. Wir helfen uns, wo wir nur können. Wir telefonieren täglich, um zu schauen, in welche andere Apotheke wir Patienten schicken können, damit sie ein Medikament bekommen“, so Krude. Sie und ihre Kollegen schreiben an Politiker und setzen sich für Änderungen ein. In der Hoffnung, dass etwas passiert und der Alptraum um die Medikamente-Engpässe vielleicht bald ein Ende hat.
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