Bochum-Wattenscheid. Der „Soziale Arbeitsmarkt“ ebnet zwei Wattenscheidern den Weg zurück in eine feste Beschäftigung. Das Jobcenter Bochum zieht positive Bilanz.

Rund 6000 Langzeitarbeitslose in Bochum meldete die Agentur für Arbeit im Dezember 2019. Davon betreut das Jobcenter Bochum 5583 Menschen, versucht, ihnen Wege zurück auf den Arbeitsmarkt zu ebnen. Zwei erfolgreiche Beispiele stammen im Rahmen des „Sozialen Arbeitsmarktes“ aus Wattenscheid. Dort hat der Bio-Lieferservice „Flotte Karotte“ zwei neue Mitarbeiter mit Verträgen bis 2024 ausgestattet.

Siebeneinhalb Jahre war Holger Deichmann (58) auf der Suche nach einem neuen Job. Der gelernte Kunststoffschlosser war zuvor in verschiedenen Bereichen tätig: „Die Branche kam in Schwierigkeiten, ich verlor meinen Beruf als Kunststoffschlosser.“ Der Wattenscheider wechselte in den Bereich Außenmontage bei einem bekannten deutschen Technologiekonzern. Das Pendeln, die häufige Abwesenheit und fehlende Zeit für seine Familie bewogen Deichmann dazu, aufzuhören und fortan für eine Druckerei zu arbeiten.

Absagen stapelten sich

„Dann musste der Betrieb Konkurs anmelden, ich war 50 Jahre alt und stand ohne Job da.“ Drei, vier Jahre lang schrieb er zahlreiche Bewerbungen: „Die Mappe mit Absagen wurde dicker, die Motivation und auch das Selbstvertrauen mit jedem Rückschlag weniger. Irgendwann ist dann ein Punkt erreicht, an dem man kaum noch schreibt.“

Die Wendung kam für Deichmann und eine Kollegin mit dem „Teilhabechancengesetz“, das Langzeitarbeitslosen die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt ermöglichen soll. Jobcenter-Sprecher Johannes Rohleder: „Die beiden Mitarbeiter waren arbeitsmarktfern und haben daher die Intensiv-Förderung über fünf Jahre erhalten.“ Zur Vorbereitung absolvieren die Teilnehmer eine 16-wöchige Maßnahme. Die erste Hälfte ist theoretisch ausgelegt, umfasste etwa Bewerbungstrainings und die Rückkehr zu einer geregelten Tagesstruktur, informiert Daniel Sczudlik (Vermittlungsservice Jobcenter).

Praktikum bringt Motivation zurück

Angekommen im neuen Betrieb: Holger Deichmann (r.) mit „Flotte Karotte“-Inhaber Christian Goerdt im Wattenscheider Unternehmen.
Angekommen im neuen Betrieb: Holger Deichmann (r.) mit „Flotte Karotte“-Inhaber Christian Goerdt im Wattenscheider Unternehmen. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Praxisnah ist hingegen der zweite Teil in Form eines Praktikums ausgelegt. Deichmann erzählt: „Ein Nachbar hat mir die ,Flotte Karotte’ empfohlen, ich habe mich beworben und vorgestellt, mich hier sofort wohlgefühlt.“ Essenziell: „Ich habe gespürt, dass ich wieder gebraucht werde, viele nette Leute während der Maßnahme und im Betrieb kennengelernt. Die Motivation kam zurück, man steht wieder früh auf, muss das Haus verlassen, kann produktiv sein und findet wieder seinen Alltagsrhythmus.“

Langfristige Verträge

Zuvor habe man sich nach und nach zurückgezogen, berichtet auch seine Kollegin (Name der Redaktion bekannt), die ebenfalls lange nach einem passenden Arbeitsverhältnis gesucht hat. Beide sind nun bis 2024 mit einem Vertrag als Packer ausgestattet, im Betrieb angekommen und als Arbeitskräfte geschätzt. Jobcenter-Sprecher Rohleder: „Die Begeisterung der beiden, noch einmal eine Chance erhalten zu haben, ist exemplarisch. Wir haben 2019 fast 600 Arbeitsverhältnisse in Bochum fördern können, die Zahl der Abbrecher lag bei nur 32.“

Christian Goerdt, Inhaber und Mitgründer des Bio-Lieferservice „Flotte Karotte“, reiht sich ein in die positiven Rückmeldungen: „Unser Unternehmen ist in den vergangenen zwei Jahren gut gewachsen. Die Verstärkung passt wie die Faust aufs Auge.“ Der Inhaber weiß zudem, in welcher Situation sich seine beiden neuen Mitarbeiter befunden haben: „Vor meiner Selbstständigkeit war ich selbst arbeitslos.“

1996 gründete Goerdt die „Flotte Karotte mit zwei Kommilitonen und einem Fiat Panda in Essen-Horst. Mit 17 Kunden haben wir angefangen.“ Seit 2013 ist der Lieferservice an der Josef-Haumann-Straße 7 ansässig, belieferte laut Goerdt Anfang Januar erstmals 2000 Kunden in einer Woche.

„Sozialer Arbeitsmarkt“ wird fortgesetzt

Gesetz umfasst zwei Förderprogramme

Das „Teilhabechancengesetz“ umfasst zwei Programme. Die „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ richtet sich an Menschen über 25 Jahren, die mindestens sechs innerhalb der letzten sieben Jahre Arbeitslosengeld II bezogen haben. Ein Lohnkostenzuschuss wird für maximal fünf Jahre gezahlt.

Bei der „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“ werden Menschen, die mindestens zwei Jahre lang arbeitslos sind, gefördert. Die Lohnkosten werden dabei für zwei Jahre anteilig übernommen.

Arbeitgeber wie -nehmer können während der gesamten Zeit der Maßnahme auf Unterstützung durch Coaches des Jobcenters zurückgreifen.

Über den bisherigen Erfolg des „Sozialen Arbeitsmarktes“ sei man „positiv überrascht“, sagen Rohleder und Sczudlik. Im Jahr 2020 sollen weitere 380 Arbeitsverhältnisse vermittelt werden. Ausreichend Bewerber und interessierte Unternehmen seien bereits vorhanden. Ein Vorteil für Arbeitgeber ist weiterhin die Förderung der Arbeitsverhältnisse.

Im Wattenscheider Fall finanziert das Jobcenter in den ersten zwei Jahren den kompletten Mindest- bzw. Tariflohn, in den folgenden drei Jahren jeweils zehn Prozent weniger. Arbeitgeber können den Betrag aufstocken – was beim Wattenscheider Unternehmen geschieht. Inhaber Goerdt: „Wir übernehmen die Differenz zu unserem betriebsinternen Tarif.“