Bochum. In Bochum entdeckt ein junges Theaterensemble Marguerite Duras’ „Der Liebhaber“ für die Bühne neu. Gespielt wird in einer alten Werkstatt.
Als Marguerite Duras’ „Der Liebhaber“ 1984 erschien, da war das Buch wegen seiner für damalige Verhältnisse ungewohnten Freizügigkeiten in aller Munde. Fast ebenso schnell geriet es auch wieder in Vergessenheit.
Umso überraschender, dass sich nun ein junges Theaterensemble des modernen Klassikers annimmt. Unter dem Titel „Das Kind“ kam er in der „Bakery“, einer alte Werkstatt mit stimmiger Industriepatina im Kunstkiez Bärendorf, auf die Bühne.
Regiewerkstatt unterstützt
Elena Ubrig und Katharina Frölich haben die Aufführung entwickelt, mit freundlicher Unterstützung der „Zwanzigfünfzehn“-Regiewerkstatt, einem Projekt, das Nachwuchskünstlern unter Profi-Anleitung (hier: Theaterpädagogin Clara Nielebock) Inszenierungsmöglichkeiten bietet.
In „Der Liebhaber“ wird freimütig über Sex, Begierde, Tabus gesprochen – im Zentrum steht die Liaison einer 15-Jährigen mit einem Mann Ende 20. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn mindestens eben soviel Raum nehmen im Buch familiäre Probleme vor dem Hintergrund der französischen Kolonialzeit in Indochina ein.
Schwierige Verhältnisse
Duras’ verdichtete Erinnerungsfetzen offenbaren das Leben eines Mädchens mit einer Mutter, die keinen Halt gibt, mit zwei Brüdern, die dem Leben nicht gewachsen sind und einer Gesellschaft, die den Wert eines Menschen an dessen Hautfarbe misst. Und die weibliche Sexualität tabuisiert.
Starker Tobak, auf den sich Ubrig und Frölich aber mutig einlassen. Die Jung-Regisseurinnen richten die volle Aufmerksamkeit auf jenes Mädchen, halb Frau, halb Kind, das sich, bedrängt von den Erwartungen, die an sie gestellt werden, seine Freiheit erkämpfen muss.
Elegische Klaviermusik
Die Aufführung spielt im karg bestückten Raum der Bakery, so dass die drei jungen Darsteller einiges an Power aufbieten müssen, um den Spannungsbogen hoch zu halten. Zumal Marlene Unterfenger als „Das Kind“ gelingt das gut. Wie eine Nachtwandlerin balanciert sie leeren Blicks über dem Abgrund aus gesellschaftlichen Ansprüchen, familiären Zwängen und den eigenen Wünschen und Begierden. Elegische Klaviermusik („Hab’ mich lieb“) und bretternde Gitarrensounds orchestrieren den Seelensoundtrack einer Jugendlichen zwischen poetischen Momenten der Verlorenheit und trotziger, verzweifelter Wut.
Schritt in die Freiheit
Am Ende stellt sich Befreiung ein: „Die meisten Menschen sind zufrieden mit all den Dingen, die außerhalb von ihnen sind. Bei mir gibt es nichts außerhalb meiner selbst.“ Es sind dies die Worte, die Marguerite Duras für sich selbst reklamierte; der Schritt in die Literatur war für die Dichterin der Schritt in die Freiheit. Wohin die Reise des „Kindes“ geht, lässt die Aufführung offen.