Bochum-Querenburg. Das Seniorenbüro Süd veranstaltet seit Anfang 2019 ein Erzählcafé in Bochum. Sabine Potratz entführt Senioren jeden Monat in eine andere Welt.
Eigentlich sollte es ein Nachmittag in weihnachtlicher Stimmung werden im Seniorenbüro Süd in Querenburg. Bei nicht gerade winterlichen knappen 15 Grad ist das eine kleine Herausforderung für Sabine Potratz. Sie ist Märchenerzählerin und will die Besucherinnen, die hierher gekommen sind, mit ihren Weihnachts- und Wintergeschichten für eine Stunde in eine andere Welt entführen.
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Dafür hat sie ihre Harfe mitgebracht. Mit sanften Klängen leitet sie ihre Erzählstunde ein und fragt: „Wissen Sie schon, was sie an Weihnachten kochen werden?“ „Gans natürlich“, ruft eine Seniorin. „Das trifft sich ja gut, denn in meiner ersten Geschichte geht es auch um eine Weihnachtsgans. Also da waren zwei Schwestern…“
Seniorenbüro Süd in Bochum: Märchenstunde seit Anfang 2019
Seit Anfang des Jahres kommt Sabine Potratz einmal im Monat nach Querenburg. Sie hat selbst die Initiative ergriffen und Nataliya Tikhonova vom Seniorenbüro vorgeschlagen, eine Märchenstunde anzubieten. Zusammen entwickelten die beiden das Projekt „Erzählcafé“. Sie wollten einen Raum schaffen, in dem die Senioren Märchen aus verschiedenen Kulturen hören und sich darüber austauschen können.
Das Erzählcafé wird fast ausschließlich von Frauen besucht. Trotzdem ist das Publikum gemischt: Die Frauen stammen aus verschiedenen Kulturkreisen,die Altersspanne ist breit. Die Angebote des Seniorenbüro richten sich generell an Bochumer ab 55 Jahren.
Zurück zur Erzählstunde: Eine der jüngeren Frauen filmt Sabine Potratz mit ihrem Smartphone, während eine ältere Seniorin mit geschlossenen Augen der Geschichte lauscht. Der Weihnachtsgans wurden unterdessen Schlaftabletten verabreicht. Die Schwestern in Potratz‘ Geschichte brachten es nicht übers Herz, sie zu schlachten. Das Tier, das anscheinend eine hohe Toleranz gegenüber Schlaftabletten hat, wacht wieder auf und die Schwestern stricken der nackten Gans einen Pullover. Schmunzeln. Applaus. Harfenklänge. Nächste Geschichte.
Geschichtserzählung mit Stimme, Mimik und Handbewegungen
Wenn Sabine Potratz erzählt, wirkt es so, als wäre sie selbst ein Teil der Geschichte. Sie erzählt, als wäre sie dabei gewesen und nimmt die Rollen ihrer Figuren ein. Dafür nutzt sie ihre Stimme, Mimik und große Handbewegungen. Eine richtige Märchenerzählerin eben.
Mit dem Erzählen habe Potratz sich schon in ihrer Bachelorarbeit – ihrer Abschlussarbeit – beschäftigt. Sie hat erörtert, warum es für Kinder so wichtig ist, frei erzählte Geschichten zu hören. Noch immer arbeitet Sabine Potratz ab und zu mit Kindern, aber auch in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung – oder eben mit Senioren. Bei ihren Geschichten ist ihr vor allem eines wichtig: „Sie verbinden uns, denn überall auf der Welt werden ähnliche Märchen erzählt. Manchmal weiß niemand so genau, wo die Geschichte herkommt.“
Viktoria Goncharenko besucht zum zweiten Mal das Erzählcafé. Sie ist begeistert: „Die Geschichten machen die Seele weicher.“ Das Märchen vom „Snegurotschka“ (russisch für Schneeflöckchen) kannte sie bereits aus der Ukraine, allerdings in einer abgewandelten Form.
Ideen aus Märchenbüchern, Youtube-Videos und Disney-Filmen
Die Ideen für ihre Geschichten findet Sabine Potratz in Märchenbüchern, Youtube-Videos oder Disney-Filmen. Aus Varianten formt sie ihre eigene Version. Manchmal denkt sie sich die Geschichten auch selbst aus. Dabei achtet sie darauf, welche Geschichten den Seniorinnen gefallen könnten. Nicht alle Themen eignen sich für die Runde. Eine Erzählung über den Umgang mit dem Tod sei nicht bei allen Zuhörerinnen gut angekommen.
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An diesem Nachmittag muss in keiner Geschichte jemand sterben. Die vier kurzen Geschichten verbreiten eine besinnliche Stimmung. „Für mich ist das Zuhören immer wie eine Fahrt in meine Kindheit“, sagt Nataliya Tikhonova, die das Projekt betreut. Bärbel Starsinski, die zum ersten Mal beim Erzählcafé ist, pflichtet ihr bei: „Ich habe es sehr genossen, einfach nur zuzuhören. Das ist total entschleunigend, gerade jetzt in der Weihnachtszeit.“ Im nächsten Jahr will sie wiederkommen.