Bochum. Die Bochumer Ausnahmeschauspielerin Sandra Hüller hat 2019 die beiden wichtigsten Bühnenauszeichnungen abgeräumt. Ein Porträt.

Sandra Hüller, Ausnahmeschauspielerin am Schauspielhaus Bochum, erhält 2019 die beiden wichtigsten Bühnenauszeichnungen des deutschsprachigen Theaters.

Die beste Schauspielerin steht in Bochum auf der Bühne: Sandra Hüller. Nachdem die blonde Aktrice bereits vom Fachblatt „Theater Heute“ zur „Schauspielerin des Jahres“ ausgerufen wurde, kam nun die Nachricht, dass die 41-Jährige auch mit dem Gertrud-Eysoldt-Ring gekürt wird. Er gilt als einer der wichtigsten Theaterpreise im deutschsprachigen Raum.

Wie mit Goldstaub veredelt

Gute Schauspieler gibt es viele, sehr gute schon viel weniger - und dann sind da noch die Ausnahmetalente, wie Sandra Hüller eines ist. Was macht diese Künstlerin aus, die, eher schmächtig und keineswegs eine „Rampensau“, jede Inszenierung, an der sie beteiligt ist, wie mit Goldstaub veredelt?

Die Arbeit, die sie leiste, sei hauptsächlich eine innere, hat die Künstlerin einmal verraten. Will sagen: Bevor sie überhaupt ans „Spielen“ denkt, arbeitet Hülle sich mit Akribie und Einfühlungsvermögen in die Psychologie, die Sonnenseiten und/oder Abgründe der von ihr dargestellten Figuren ein.

Stichwort: Eysoldt-Ring

Der Gertrud-Eysoldt-Ring gilt als einer der bedeutendsten Theaterpreise und wird seit 1986 jährlich in Bensheim vergeben. Er ist nach der Bühnenschauspielerin Gertrud Eysold (1870-1955) benannt, die Anfang des 20. Jahrhunderts Berühmtheit durch meisterhaft gespielte Vamprollen erlangte.

Mit der Vergabe des Ringes, dotiert mit 10.000 Euro, würdigt die Stadt Bensheim eine schauspielerische Leistung an einer deutschsprachigen Bühne. Erste Preisträgerin war Doris Schade, ihr folgten Elite-Schauspieler/innen wie Klaus Maria Brandauer, Cornelia Froboess, Corinna Harfouch, Nina Hoss, Ulrich Mühe, Gert Voss und Ulrich Matthes.

Die Ehrung geht auf ein Vermächtnis des Theaterkritikers Wilhelm Ringelband zurück, der in Bensheim lebte und in seinem Testament einen Schauspielerpreis mit dem Namen von Gertrud Eysoldt verfügte.

Das ist zwar allgemein schauspielerisches Handwerk, aber wenn man Hüller dann auf der Bühne folgt, merkt man sofort, wo die Trennlinie zwischen „gut“ und „faszinierend“ verläuft und mit welcher seelischen Tiefe sie in ihre Figuren eingestiegen ist. Man sieht ihr zu, und denkt: Es sieht aus, als ob sie gar nichts dazutun muss. Als ob sie sich überhaupt nicht anstrengte. – Warum gehen, wenn man fliegen kann?

Selbstverständlichkeit der Darstellung

Diese Selbstverständlichkeit der Darstellung ist, neben ihrem körper-intensiven und dabei doch wie körperlos wirkenden Spiel, das Geheimnis der Hüller: Sie hat ihre individuelle Ausdruckskunst so perfektioniert, dass man nur staunend zusehen kann: Als „Penthesilea“ war sie aggressive Amazone und verletzliches, schutzloses Geschöpft in einem; hier war/ist Ausdruck alles. In „Die Hydra“ war sie, sprachlich fein-getunt, der ruhende Pol in einer lärmenden, unverständlichen Aufführung. In „Geschichten Deiner großen Liebe“ ließ sie Wolfgang Herrndorfs Coming-of-Age-Geschichte um die junge Isa wie Polaroids der Sehnsucht aufleuchten.

Kammerspiel statt Bühnenspektakel

Und dann: „Hamlet“. Für die Darstellung der Titelfigur in Johan Simons’ gefeierter Shakespeare-Einrichtung bekam sie schließlich den Eysoldt-Ring. Dieses Stück ist kein Bühnenspektakel, vielmehr ein Kammerspiel im Wohnzimmer des Königreiches Dänemarks, in dem bekanntlich allerhand faul ist. Simons geht es in seiner entschlackten, abstrakt choreographierten Deutung nicht ums Große und Ganze, sondern um die Zerrissenheit des jungen Hamlet. Dessen Verlorenheit in der Welt und an den Menschen um ihn herum sind zentrale Motive dieser beklemmend zeitgemäßen Einrichtung.

Sandra Hüller ist nicht nur eine gefeiert Bühnenschauspielerin, sondern auch eine Leinwand-Größe. Mit „Toni Erdmann“ war sie für den Oscar nominiert.
Sandra Hüller ist nicht nur eine gefeiert Bühnenschauspielerin, sondern auch eine Leinwand-Größe. Mit „Toni Erdmann“ war sie für den Oscar nominiert. © dpa | Britta Pedersen

Sandra Hüller liefert sich einen leidenschaftlichen Nahkampf mit der Hamletfigur, wobei ihre Darstellung auch als Auseinandersetzung mit der Bühnenkunst als solcher aufgefasst werden kann.

Auf Nachtflug

„Hüller bleibt sie selbst, indem sie den Hamlet spielt, und sie spielt sich selbst, indem sie Hamlet ist“, heißt es in der Eysoldt-Jurybegründung. Sie folge den Spuren von Shakespeares Stoff, ohne mit dem Staunen darüber aufzuhören, dass es gerade sie ist, die auserwählt wurde, sich mit uns und für uns auf den Nachtflug zu begeben durch einen Kosmos von Gewalt, Liebe, Zweifel, Traum und Tod.

Meisterin der Nuancierung

Sie lässt sich von sich selbst gefangen nehmen, und ist dabei eine Meisterin der Nuancierung, noch der kleinen und kleinsten Geste, eine Mikro-Schauspielerin, wenn man so will. Ein Wimpernschlag, die scheinbar unabsichtliche Bewegung der Finger, eine unvermittelte Drehung des Körpers - ohne sprechen zu müssen, spricht Sandra Hüller durch und mit ihrem Körper. Diese Schauspielerin steht für beides, Body & Soul. Was für ein Glück, dass sie uns ihre Kunst am Schauspielhaus Bochum erleben lässt!