Bochum. Nach dem Missbrauchs-Skandal in einer Bochum Kirchengemeinde schließt Bischof Overbeck einen Rücktritt aus. Die Gläubigen haben bohrende Fragen.

Im Zuge des Missbrauchs-Skandals in der Wattenscheider Kirchengemeinde St. Joseph schließt Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck einen Rücktritt aus. Zwar stelle er sich der Verantwortung und empfinde tiefe Scham für das „Desaster“. Er wolle aber in seinem Amt für volle Aufklärung sorgen und seinen Teil dazu beitragen, dass die katholische Kirche mit Tätern wie auch mit Opfern anders umgehe, sagte Overbeck am Sonntag bei einem Besuch in Bochum.

„Unter Gottes Schutz und Schirm geborgen“, heißt es in einem der Bibelsprüche für Täuflinge ganz hinten im voll besetzten Kirchenschiff. Den Glauben an Schutz und Schirm verloren haben etliche Gemeindemitglieder in St. Joseph, seit sie vor eineinhalb Wochen erfuhren, dass ein heute 85-Jähriger zwischen 2002 und 2015 als „Ruhestandsgeistlicher“ an der Geitlingstraße gewirkt und gewohnt hat, obwohl er zweimal – 1972 und 1988 – wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen rechtskräftig verurteilt worden war. Zuvor hatte er u.a. in Essen-Kettwig, Münster und Recklinghausen gearbeitet.

„Wer sich an Kindern vergeht, ist ein Verbrecher“

Nachdem die beteiligten Bistümer Köln, Münster und Essen den Fall in der vorletzten Woche öffentlich gemacht haben, herrscht in St. Joseph der Ausnahmezustand. Zwar wird betont, dass es bei dem Priester in den 13 Jahren in Wattenscheid mutmaßlich zu keinerlei Übergriffe auf Kinder und Jugendliche gekommen sei. „Er war absolut unauffällig und ein guter Seelsorger. Wir waren froh, dass er da war“, heißt es. Im Rückblick jedoch hätte niemals ein Kirchenmann mit derartigen Vorstrafen im Dienst bleiben dürfen, so der Gemeinderat.

Neue Erkenntnisse lieferte die Sonntagsmesse. Nach Angaben von Bischof Overbeck hat die Kirche ein Gutachten erstellen lassen, bevor der Priester 2002 in Wattenscheid zum Einsatz kam. Daraus gehe hervor, dass von dem verurteilten Sexualstraftäter „keine Gefahr“ mehr ausgehe. „Er kam dann hier her. Danach wurde nichts mehr getan.“

Münsteraner Bischof gesteht Fehler ein

Der Münsteraner Bischof Felix Genn hat sich inzwischen entschuldigt. „Ich habe Fehler gemacht“, schreibt er in einem offenen Brief. Ihm habe „die Einsicht gefehlt, dass ein wegen sexuellen Missbrauchs verurteilter Priester grundsätzlich nicht mehr seelsorgerlich eingesetzt werden darf“. Das werde künftig untersagt.

Auch er könne nur die Hand zur Entschuldigung reichen, bekräftigt Bischof Overbeck, als er im Christ-König-Gottesdienst vor die Gemeinde tritt. Ein schwerer Gang. Man sieht’s ihm an. Overbeck wirkt zerknirscht, zeigt sich demütig, senkt immer wieder den Blick zu Boden, spricht von „Abgründen“ und unverzeihlichem Fehlverhalten: „Wer sich an Kindern vergeht, erst recht als Geistlicher, ist ein Verbrecher!“ Doch von persönlicher Schuld, die einen Rücktritt rechtfertige, spricht er sich frei. Als er vor zehn Jahren Ruhrbischof wurde, sei der inkriminierte Pfarrer längst in Wattenscheid tätig gewesen. Erfahren habe Overbeck von den Vorstrafen erst im Zuge der 2017/18 begonnenen umfassenden Missbrauchs-Ermittlungen der katholischen Kirche. Da war der Pfarrer längst nicht mehr in Wattenscheid tätig.

Mit Gemeindepfarrer Klaus Reiermann (re.) zelebrierte Bischof Overbeck die Messe in der Wattenscheider Gemeinde.
Mit Gemeindepfarrer Klaus Reiermann (re.) zelebrierte Bischof Overbeck die Messe in der Wattenscheider Gemeinde. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

1600 Akten werden überprüft

Ein „Ich schäme mich“ reiche nicht, so Overbeck. Die Institution Kirche habe Schuld auf sich geladen. Die jüngsten Missbrauchsfälle müsse sie als „Zäsur“ begreifen, sagt der Bischof, als er sich nach der Messe den Fragen der mehr als 200 Gläubigen stellt. Den Zölibat bezeichnet er „als Herausforderung, aber auch Last“, die Gleichberechtigung im Sinne der „Maria 2.0“-Bewegung als überfällig. Die Bischofskonferenz sei aktuell dabei, eine eigene Verwaltungsgerichtsbarkeit auf den Weg zu bringen, um schwarzen Schafen effizienter zu begegnen. Dazu seien 1600 Akten von Priestern „auf Auffälligkeiten“ überprüft worden.

In St. Joseph wollen sie es zunächst eine Nummer kleiner. Wollen aufrichtig und transparent wissen, wer damals zugelassen hat, dass ein Sexualstraftäter ihre Gemeinde heimsuchen durfte. Meinen es wörtlich, wenn sie Schuld beim Namen nennen wollen. Fordern eine Kultur des genauen, auch schmerzhaften Hinschauens statt verantwortungslosen Wegguckens. Fragen sich mit dem Bischof gemeinsam: Was hätte Jesus zu all dem gesagt?

Gemeinde wartet auf Antworten

Die Bistümer werden die Antworten schnell und überzeugend liefern müssen. Dann, nur dann, werden sie auch in St. Joseph wieder auf Gottes Schutz und Schirm vertrauen können.