Bochum. Horrorfilme beim WAZ-Medizinforum: Das gab’s noch nie. Doch zu Halloween wurde es gespenstisch. Im LWL-Klinikum ging es um Grusel und Seele.
Live-Operationen an der Galle und am Herzen, eine Laser-Show, Mitmach-Übungen für den Rücken: Die WAZ-Medizinforen mit Redaktionsleiter Thomas Schmitt als Moderator haben in den vergangenen Jahren manch Außergewöhnliches geboten. Horrorfilme waren noch nicht dabei. Dazu bedurfte es der ersten Halloween-Ausgabe am Donnerstagabend im LWL-Universitätsklinikum. Titel: „Was macht der Grusel mit der Seele?“
Kreischen, Schreie, Entsetzen: Auf der Leinwand treiben Horrorclowns und andere dunkle Gestalten ihr Unwesen. Während manche Besucher kaum hinschauen können, bleibt Bernd Harder cool. Als Journalist und Autor kennt er sich mit dem Dämonen der Neuzeit bestens aus. In seinem Vortrag zeigt er auf, wie mit dem Grusel im Kino, TV und (vor allem) Internet Kasse und Quote gemacht wird.
Natürliche Angst ist lebenswichtig
Im Spiel mit der Furcht, wie es zu Halloween auf die Spitze getrieben wird, erkennt LWL-Klinikchef Prof. Georg Juckel höchst menschliche Wurzeln. Jeder verspüre eine „natürliche Angst“ vor Tod und Bedrohung. Seit Urzeiten versuche der Homo sapiens, dieser Angst Herr zu werden: durch Rituale, Kulte oder Opfergaben, die die vermeintlichen Dämonen besänftigen sollen. Halloween, längst zu einer Milliarden-Industrie avanciert, hat genau diesen Ursprung. „Süßes oder Saures“, Gnade oder Gnadenlosigkeit: Der Aberglaube lebt auch, vielleicht gerade in einer hochtechnisierten Welt fort.
Dabei ist „gesunde“ Angst mit beschleunigtem Herzschlag, Zittern und Schwitzen lebenswichtig, weiß Dr. Andre Wannemüller (Klinische Psychologie Bochum). Sie schützt uns, warnt uns vor Gefahren, lässt uns in bedrohlichen Situationen das Richtige tun, meist: die Flucht antreten. Doch anders als bei Horrorfilmen, die daheim oder im Kino zwar schocken, aber keine reale Gefahr darstellen, kann sich eine übersteigerte Angst zur Krankheit wandeln.
Konfrontation kann helfen
Jeder dritte Deutsche ist von Angststörungen betroffen, so Georg Juckel. Lang, mitunter kurios, ist die Liste der Phobien. Höhenangst oder Furcht vor Spinnen zählen zu den gängigsten Formen. Was hilft? „Die Expositionstherapie“, sagt Andre Wannemüller: die direkte Konfrontation mit dem Auslöser der Angst, etwa auf einer hohen Brücke oder mit einer krabbelnden Spinne in der Hand. Am Ende steht die Erkenntnis, dass die Panikattacken gänzlich unbegründet sind: „Ich bin sicher. Mir kann meine Angst nichts mehr anhaben.“
Sind Märchen zu grausam für Kinder?
Sind Grimms Märchen ungeeignet für Kinder? Beim WAZ-Medizindialog zum Thema „Grusel“ diskutierten Experten und Leser auch über diese Frage.
Psychotherapeut Andre Wannemüller beobachtet ein „neues Bewusstsein“ bei jungen Eltern. Sie glaubten zunehmend, dass Erzählungen wie „Hänsel und Gretel“ zu grausam seien und würden lieber zu einer gewaltlosen Lektüre greifen.
Das hält eine Leserin für falsch. „Überfürsorglich“ seien manche Eltern heutzutage. Es sei sehr wohl wichtig, dass Kinder mit Gut und Böse konfrontiert werden und lernen, zu unterscheiden.
Wannemüller stimmt zu. Die Märchenstunden sollten aber unbedingt im sicheren Umfeld der Eltern und Familie stattfinden.
Bei Martin Luther war es kein Therapeut, sondern ein liebender Gott, der die Furcht vor dem Fegefeuer zumindest gelindert habe, berichtet Henri Krohn, Pastor der Evangelischen Kirchengemeinde Bochum. In seinem Vortrag rückt er den Reformationstag in den Blickpunkt. Luther habe fest an den Teufel geglaubt, hielt ihn für real. Als gleichwohl skandalös empfand er den Ablasshandel, das „Freikaufen“ von Sünden, mit dem die Kirche ein einträgliches Geschäft betrieb. „Luther emanzipierte sich von seiner Furcht und erkannte: Jeder Mensch ist ein von Gott geliebtes Wesen.“ So sei es auch heute. Daher der eindringliche Appell des Pastors: „Glauben Sie keinem Kirchenmenschen, der Ihnen Angst machen will!“
Die Wirklichkeit ist schlimmer als Horrorfilme
Das – durchaus wohlige – Angstgefühl sollte man besser den Horror-Filmemachern überlassen. Die allerdings stoßen zunehmend an ihre Grenzen, beobachtet Genre-Kenner Bernd Harder: „Unsere Wirklichkeit ist inzwischen so monströs, dass die Horrorfilme dagegen kaum noch ankommen.“