Bochum. Bochum hat nach dem tödlichen Polizeischuss auf einen Jäger auf einem Friedhof die Regeln verschärft. Zu dem Drama gibt es neue Details.

Nach dem tödlichen Schuss auf einen Jäger auf dem Gerther Friedhof hat das Ordnungsamt die Regeln für das Jagen von Wildkaninchen auf Bochums Friedhöfen verschärft. Seit dem Drama am Gründonnerstag, bei dem ein 77-jähriger Bochumer durch eine Polizeiwaffe tödlich verletzt worden ist, hat die Stadt jetzt alle beauftragten Jäger verpflichtet, sich sowohl vor als auch nach der Jagd bei der Polizei an- und auch wieder abzumelden.

Das war vorher nicht so geregelt.

Auch interessant

doc74zba3hn03s1exp3x1w0_MASTER.jpg
Von Markus Rensinghoff, Jürgen Stahl & Michael Weeke

Außerdem müssen neuerdings die jeweilige Verwalter des Grundstücks über die Jagdabsicht mindestens 24 Stunden vorher informiert werden. „Die Jäger müssen Hinweisschilder auf die Jagd aufhängen beziehungsweise aufstellen“, teilte Stadtsprecher Peter van Dyk auf WAZ-Anfrage mit. Er betont aber gleichzeitig: „Wichtig ist dabei, dass nicht geklärt ist, was genau an diesem Tag passiert ist. Daher kann man nicht schlussfolgern, dass der Vorfall durch andere oder zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen hätte vermieden werden können.“

Entweder Einstellung des Verfahren oder Anklageerhebung

In der Tat hat die ermittelnde Staatsanwältin noch nicht entschieden, ob die beiden beschuldigten Polizisten aus Bochum ihre Schüsse berechtigt, in Notwehr oder zumindest angenommener Notwehr, abgefeuert hatten oder nicht. Sie sollen in dieser Woche vernommen werden. Entweder wird das Verfahren nachher eingestellt oder die Beamten (oder einer von ihnen) werden angeklagt und müssen vor Gericht.

Einer der Hauptzeugen hat gegenüber der WAZ jetzt das Geschehen auf dem Friedhof an der Kirchharpener Straße genau geschildert. Er ist selbst Jäger und derjenige, der eigener Aussage zufolge an jenem 18. April gegen 17.45 Uhr den Notruf 110 gewählt hatte, weil ihm der 77-jährige Rentner, der damals mit einem durchgeladenen Gewehr auf dem Friedhof unterwegs war, zu bedrohlich erschien. „Das Ganze machte mir keinen guten Eindruck.“ Der Rentner hatte eine Ausnahmegenehmigung, aber nicht für diese Uhrzeit und nicht ohne Sicherheitsvorkehrungen. Das Gewehr soll eine Jagdrepetierbüchse mit großem Zielfernrohr gewesen sein.

„So wie er sich verhalten hat, hat das nichts mit einer waidgerechten Tätigkeit zu tun“

Der Zeuge ging damals zufällig mit seinen Hunden an der Kirchharpener Straße entlang. Rund 30 Besucher hätten sich auf dem Friedhof aufgehalten. Er habe gesehen, wie die Ehefrau des Rentners auf den Wegen gegangen sei und ihr Mann querfeldein zwischen den Gräbern entlang. Er habe eine Art Mocasains und einen Parka getragen, ähnlich einer Schimanski-Jacke. Mit seinem Gewehr („mindestens Kaliber 22“) habe er in Baumwipfel gezielt, ohne zu schießen. Auf mehrere Zeugenansprachen wie zum Beispiel „Was machen Sie da“ habe der Jäger nicht oder abweisend reagiert. Sinngemäß nach dem Motto: Das geht Sie nichts an. „So wie er sich verhalten hat, hat das nichts mit einer waidgerechten Tätigkeit zu tun“, sagte der Zeuge.

Ähnliches Verfahren wurde bereits eingestellt

Ein ähnliches Verfahren war im Juni eingestellt worden. Am 16. Dezember 2018 hatte ein Polizist (35) einen Rentner (74) auf dem Bürgersteig an der Velsstraße in Altenbochum erschossen. Dieser soll den Beamten und dessen Kollegen mit einer täuschend echt aussehenden Scheinwaffe bedroht haben (in Wahrheit war es nur eine Feuerzeug).

Es gebe „keinen hinreichenden Tatverdacht“, dass sich der Beamte strafbar gemacht haben könnte, so die Staatsanwaltschaft. Der Polizist habe in Notwehr gehandelt.

Als einige Minuten nach dem Notruf die Polizei eingetroffen sei, habe ein uniformierter Streifenbeamter aus seinem Kofferraum eine MP5 (Maschinenpistole) geholt und hat am Gartenzaun zum Friedhof Stellung bezogen. Die Situation sei völlig unklar gewesen. Aus einer anderen Richtung seien Zivilbeamte vom Einsatztrupp erschienen, mit Schutzweste und der Aufschrift „Polizei“. Einer von ihnen habe sich mit einer P99 (Pistole) in der Hand weniger als zehn Meter dem Jäger angenähert. Der MP5-Schütze habe rund 15 Meter von ihm entfernt gestanden. „Ich habe ein lautes Rufen gehört, dann sind zwei Schüsse gefallen“, so der Zeuge.

Unterschiedliche Darstellungen zu den Schüssen

Jeder Beamte hatte einmal abgedrückt. Die Polizeibehörde wird später erklären, dass aufgrund einer plötzlichen „Bedrohungssituation“ geschossen worden sei, „zum eigenen Schutz“. Hatte der Jäger trotz Ansprache, die Waffe wegzulegen, sein Gewehr gegen sie erhoben? Dazu gibt es unterschiedliche Darstellungen.

Sicher ist: Ein Schuss traf die Schulter. Der Rentner, der selbst nicht geschossen hatte, brach sofort zusammen. Der MP5-Schütze sagt sinngemäß: „Ich habe geschossen. Was sollte ich machen? Ich hatte keine andere Wahl.“ So schildert es der Zeuge, der die 110 gerufen hatte. Außerdem sagt er: „Wenn die jemanden ansprechen, machen sie das sehr professionell. Sie sind sehr trainiert. Die schießen nicht einfach.“

Den Rentner und sein Verhalten hatte der Zeuge im entscheidenden Moment der Schussabgabe aber nicht gesehen. Die Zeitung „Die Welt“ zitiert die Witwe des Jägers so, dass ihr Mann nach der Aufforderung „Polizei, Waffe weg!“ das Gewehr habe fallen lassen und die Hände gehoben habe. „Sein linkes Knie habe die Wiese berührt, als es knallte“. Die Tochter des Verstorbenen habe gesagt, dass ihr Vater „kein Irrer“ gewesen, er sei topfit im Kopf gewesen.

Zwei Tage nach den Schüssen starb der 77-Jährige im Krankenhaus.