Bochum. Theater einmal anders: Statt auf die Bühne schauen die Zuhörer auf die Straße. Im Hörstück „Unsichtbar“ erzählt eine Pflegekraft von ihrem Job.
Müssen beim Theaterbesuch eigentlich zwangsläufig Schauspieler auf der Bühne stehen? Oder genügt es fast schon, nur ihren Stimmen zu lauschen, um trotzdem eine bewegende Aufführung zu erleben? Es ist ein interessantes Experiment, das der Regisseur Florian Fischer gemeinsam mit dem Sounddesigner Ludwig Berger bei der jüngsten – nennen wir es – Premiere im Schauspielhaus wagt.
„Unsichtbar“ nennt sich ihr Hörstück, das nicht live gespielt wird, sondern die Zuhörer über MP3-Player und Kopfhörer erreicht. Täglich außer sonntags kann man bei freiem Eintritt dieses knapp 40-minütige Hörspiel erleben, das ausschließlich vor dem inneren Auge des Besuchers über die Bühne geht, dort aber nicht ohne Wirkung bleibt.
Fast wie beim ganz normalen Theaterbesuch geht man auch hier zur Kasse und bittet um Einlass. Statt einer Karte erhält man einen Kopfhörer, mit dem man die Treppe hinauf ins Foyer geht. Durch die große, majestätische Fensterfront schaut man hinauf auf den Platz und die belebte Kreuzung. Alles, was hier geschieht, wird unwillkürlich zum Teil der Aufführung: hupende Autos, knatternde Motorräder. Einer durchsucht den Mülleimer nach Pfandflaschen, der andere verpasst beinahe seinen Bus. Die junge Frau liest ein Buch, die ältere Dame ächzt unter der Last ihrer Einkaufstaschen und so weiter...
Täglich im Theaterfoyer
Das Hörstück „Unsichtbar“ ist bis Ende dieser Spielzeit am 13. Juli täglich außer sonntags von 10 bis 17 Uhr im Foyer des Schauspielhauses zu erleben.
Die Abspielgeräte sind kostenlos gegen Pfand (Ausweis) an der Theaterkasse erhältlich. Das Hörspiel dauert etwa 40 Minuten.
Die Stimme kriecht ins Ohr
„Sieh hinaus in die Stadt. Sieh wie alles fließt und ineinander greift.“ Die Stimme, die sich über den Kopfhörer zu Wort meldet, gehört der fabelhaften Schauspielerin Svetlana Belesova, die den Zuhörer durch die Geschichte führt. Dabei hat Ludwig Berger ihre Stimme so raffiniert aufgenommen, dass man unter dem Kopfhörer das Gefühl hat, sie würde einem direkt ins Ohr kriechen. Aus allen möglichen Himmelsrichtungen – von nah und fern – nimmt man Belesovas feine Aussprache und ihren ganz leichten russischen Akzent wahr, dazu kreiert Berger einen hypnotischen Klangteppich aus Straßengeräuschen und elektronischen Beats.
Endloses Treiben auf der Straße
Eigentlich wäre es schon Theaterabenteuer genug, bei diesem Sound einfach nur das endlose Treiben auf der Straße zu beobachten. Doch Fischer und Berger wollen auch eine Geschichte erzählen – und die ist von bitterer Aktualität. Es geht um hunderttausende Pflegekräfte aus Osteuropa, die teils schwarz und für einen Hungerlohn in Deutschland arbeiten, um 24 Stunden am Tag ältere Menschen in ihren Wohnungen zu pflegen.
„Kochen, kümmern, sorgen, waschen, füttern, schützen“: Die namenlose Pflegekraft beschreibt ihren Arbeitsalltag nüchtern, zwischen Respekt und Hassliebe führt sie ihn aus. Einerseits ist sie froh, das „gute deutsche Geld“ nach Hause schicken zu können, andererseits betrachtet sie ihre Arbeit auch mit wachsender Skepsis. „Ich hoffe, dass die deutsche Oma am Anfang des Monats stirbt“, sagt sie. „Dann ist mein Lohn schon bezahlt, und ich habe noch zwei, drei Wochen Zeit, mir eine neue Sterbende zu suchen.“
Traurige Worte, die im Laufe des Hörspiels etwas verpuffen, etwa wenn Fischer und Berger ihre Zuhörer zur Hamlet-Probe führen. Für einen harten Diskurs über den Pflegenotstand ist „Unsichtbar“ also nicht unbedingt das passende Spiel. Ein spannendes Hör-Erlebnis mitten im Theaterfoyer ist es aber allemal.