Bochum. In der Zeche 1 überträgt Regisseurin Liliane Brakema Büchners „Leonce und Lena“ in die Gegenwart. Ein Unterton des Unbehaglichen ist spürbar.
„Mein Leben gähnt mich an wie ein großer weißer Bogen Papier, den ich vollschreiben soll, aber ich bringe keinen Buchstaben heraus.“ Leonce tut sich schwer. Als Königssohn hat er so gar keine Lust aufs Regieren. Aber er weiß sich auch sonst nicht zu beschäftigen. Weder sein Verhältnis zur Tänzerin Rosetta noch die Albereien mit seinem Diener Valerio vermögen ihn dauerhaft zu befriedigen. Und nun soll er auch noch an die fremde Prinzessin Lena verheiratet werden. Um dem zu entgehen, beschließt er, mit Valerio zu fliehen.
Menschen oder Puppen
So weit die Handlung von Georg Büchners einzigem Lustspiel aus dem Jahre 1836, das am Wochenende unter der Regie von Liliane Brakema in der Zeche Eins des Schauspielhauses Premiere feierte. Der Spielort eignet sich perfekt für Experimente und so ist der Boden der Bühne (Bettina Pommer) bedeckt mit schwarzem Staub und Dreck, der sehr schön knirscht, wenn man darauf läuft. Überall liegen Menschen herum oder Puppen, man weiß es nicht genau. Sie stecken in unförmigen wattierten Anzügen und haben blaue Hände oder Füße.
Alle sind lethargisch im Staate Popo, der König leidet an Vergesslichkeit, seine Worte sind hohl und ohne Bedeutung. Die Untertanen sind müde und ausgebeutet, erstarrt in sinnfreien Ritualen. Mal tanzend wie Marionetten, mal ferngesteuert wie Zombies irren sie durch den Raum, orientierungs- und willenlos in ihrer Unterwürfigkeit. Regisseurin Liliane Brakema findet skurrile Bilder, um diese ausgebrannte Gesellschaft in Szene zu setzen. Sie schafft eine unbehagliche Atmosphäre und Büchners Text rückt plötzlich ganz nah in die Gegenwart.
Suche nach etwas Drama
William Bartley Cooper ist ein gequälter Leonce. Fiebrig sucht er nach ein wenig echtem Drama. Ihm zur Seite die fabelhafte Svetlana Belesova als Valerio, den sie mal als tumben Narren, mal als listigen Strippenzieher anlegt. Und Anne Rietmeijers erfrischende Lena ist keine ätherische „Julia“, sondern eher eine tapsige Landpomeranze. Für die Kostüme in dieser hervorragenden Arbeit ist übrigens das Designstudio Maison the Faux verantwortlich, das mit seinen Kollektionen und Projekten nicht nur die Modeszene gehörig in Aufruhr versetzt.
Am Ende begeisterter Applaus für einen modernen Büchner, der uns auch heute noch viel über zum Zustand unserer Gesellschaft zu sagen hat.