Bochum. Als letzte große Premiere in dieser Spielzeit zeigt Johan Simons das große Shakespeare-Drama. Sandra Hüller fliegen die Herzen der Zuschauer zu.

Mit dem Drama um den Prinz von Dänemark ist am Samstag im ausverkauften Schauspielhaus die letzte große Premiere der ersten Spielzeit unter der Leitung von Johan Simons über die Bühne gegangen – und es ist kein Geheimnis: Auf dem Abend lastet ein gewisser Erfolgsdruck (Kritik auf der Kulturseite im Hauptteil).

Nachdem Simons neuer Führungsstil von manchen Theatergängern in den letzten Wochen als zu sperrig und wenig unterhaltsam bemängelt wurde, scheint es der Intendant diesmal vielen Kritikern recht machen zu wollen und serviert einen „Hamlet“ in angenehmer Länge, mit Starbesetzung, sogar mit Pause und dank Mikroports auch in der letzten Reihe noch bestens verständlich.

Doch sollte man all dies nicht mit Gefälligkeit verwechseln: Johan Simons ist kein Regisseur, der die Geschichte einfach vom Blatt abspielen lässt. Übliche Hamlet-Requisiten wie Totenkopf, Degen und das Fläschchen Gift sucht man auf seiner Bühne vergebens. Auch die Schauspieler nähern sich ihren Figuren überaus assoziativ: So scheint es, als würden sie sich ihre Rollen überhaupt erst im Bühnengraben und vorn in der ersten Reihe aneignen. Dort nimmt das Ensemble während der gesamten Aufführung Platz.

Sandra Hüller gelingen schauspielerische Glanzleistungen

Klar: Im Mittelpunkt steht Sandra Hüllers Aneignung des Dänenprinzen, die von vielen als bewundernswert schlicht und natürlich bezeichnet wird. Wenn der Geist ihres toten Vaters aus ihr selber heraus bricht, gelingen ihr schauspielerische Glanzleistungen. Doch daneben lohnt auch ein Blick auf die zahlreichen Randfiguren, die in Simons Regie keinesfalls zu Statisten verkommen: Der junge Dominik Dos-Reis gibt einen imposanten Laertes, die erstaunliche Jing Xiang überzeugt einmal mehr mit beeindruckender Spielfreude – und wie Ann Göbel beinahe stumm auf der Bühne steht und nicht viel mehr tut, als einen einzigen Satz zu wiederholen („Er ist allein“), das ist schon fein gespielt.

Am Ende ergießt sich ein Jubel über den Saal, wie man ihn an dieser Stelle länger nicht gehört hat. Das Publikum feiert das Ensemble und insbesondere die ganz schüchtern auftretende Sandra Hüller minutenlang mit „Bravo“-Rufen. Simons drückt seiner Hauptdarstellerin einen herzlichen Kuss auf die Wange. Er weiß wohl, was er an ihr hat.

Das sagen die WAZ-Theaterscouts

Edgar Zimmermann: „Wer klassische Texte mag und sich auf eine moderne Darbietung einlassen kann, der ist hier vermutlich richtig. Nicht jeder eingestreute witzige Moment erschließt sich, die vielgelobte Sandra Hüller finde ich ziemlich eingeschränkt agierend in ihrer Mimik. Demgegenüber stehen tolle Schauspieler wie Bernd Rademacher und Stefan Hunstein, sowie die expressiv agierende Gina Haller als Ophelia. Sparsame Bühne, ein sich nicht wirklich erschließendes Bühnenbild sowie eine Musikerin umrahmen das Ganze.“

Yvonne Mölleken: „Der Besuch lohnt sich allein wegen der Leistung von Sandra Hüller. Ihr zuzuhören ist ein Genuss! In ihrem geschickt gewählten Kostüm, ihrer Gestalt und mit ihrer Stimme vermochte sie den edlen Charakter und die Vereinsamung des Prinzen perfekt zu verkörpern. Neben ihr hatten es die anderen schwer, selbst zu glänzen, was vor allem Stefan Hunstein und Bernd Radermacher sehr gut gelungen ist. In dieser Inszenierung kam die Intendanz dem Wunsch des Publikums, das gern auch unterhalten werden möchte, sehr entgegen.“

Auf das Wesentliche fokussiert

Astrid Hagedorn: „Die Hamlet-Inszenierung ist in ihrer gesamten Erscheinung in eine neuzeitlichen Ästhetik des Minimalismus eingebettet und auf das Wesentliche fokussiert. Ob das weiße Bühnenbild, die drehbare Kupferwand, die unaufdringlichen Kostüme – und die Art der Darstellung. Der Geist Hamlets ist wieder einmal zum Leben erweckt worden – und einmal wieder durch eine Frau. Die Klarheit und Ehrlichkeit überzeugt. Sandra Hüller hat eine Glanzleistung abgeliefert, eingebettet in ein überzeugendes Ensemble. Applaus!“

Hannelore Höppner: „Wir wissen, wer wir sind, aber nicht, was aus uns werden kann. Johan Simons hat erreicht, dass jeder das Stück verstehen kann. Die Straffung des Textes, der Einsatz von Mikros, der Klangteppich aus Geräuschen und ein wunderschönes, klares drehbares Bühnenbild tragen dazu bei, dass man gebannt dem kurzweiligen, ja amüsanten Geschehen folgt. Sandra Hüller verkörpert einen zerrissenen, einsamen Hamlet, aus dem auch immer wieder der Vater spricht: große Kunst. Der Abend hat großen Spaß gemacht und tief berührt.“