Bochum. Sandra Hüller („Toni Erdmann“) ist Hamlet und rettet in Bochum einen Shakespeare-Abend. Johan Simons Inszenierung zeigt Wirkungen ohne Ursache.

. Bei Johan Simons sitzen sie in der ersten Reihe: Schauspieler. Der Intendant ist anfangs auch dabei. Sandra Hüller, die gleich „Hamlet“ sein wird, kommt mit Trinkflasche. Scheingeplauder, Lockerungsübungen, suchender Blick ins Parkett. Bochums Publikum flutet derweil gemütlich den Saal.

So gibt es neben der berühmten Schauspieler-Szene, die als Enthüllungs-Dramolett die große Wende in Shakespeares Drama vom traurigen Dänenprinzen bringt, in Simons Neudeutung eine zweite Dimension des Theaters im Theater. Simons’ „Hamlet“ ist diese ganzen zweieinhalb Stunden lang transparente Bühnenarbeit. Wir sehen sozusagen das Gemachte, illusionslos. Hat der König gesprochen, verdrückt er sich wieder in den Zuschauersessel – und spielt dort einen Mimen, der spielt, dass er gerade nichts spielt. Die Tragödie: eine Behauptung, jeden Abend. Eintritt nicht frei.

Nicht reizlos, noch weniger aber tragfähig für gut zweieinhalb Stunden. Und hätte der Abend nicht Sandra Hüller, wäre das trotz der rigorosen Textstriche (ein Hamlet komplett käme mit seinen 4000 Zeilen auf fast sechs Stunden) ein zähes Unterfangen. Was die Regie nach vorn treibt, sind lauter Wirkungen, getrieben in nachgerade sketchhafte Stationen. Von Ursachen ist beklemmend wenig zu spüren. Das Personal macht uns eine Szene – oft ironisch, ebenso oft ohne bemerkenswerte Tiefe und innere Entwicklung.

Johan Simons inszeniert „Hamlet in Bochum“: Design trifft Schädelstätte

Dazu fügt sich ein Bühnenbild von der hochästhetischen Unverbindlichkeit einer Designer-Küche. Hier könnten auch Othello, Romeo oder Orsino performen. Der Raum, den Altmeister Johannes Schütz entwarf, ist ein requisitenfreier klinikweißer Bodenrahmen. Drehbar schwebend: ein weißer Mond und ein kupfernes Rechteck. Hinten lauter schicke Kugeln, so sehen Schädelstätten für Leute mit Geschmack aus.

Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug. Mag der Zugang, den die erste große Shakespeare-Deutung des neuen Intendanten wählt, auch eine Verneigung vor „All the world’s a stage“ sein, er nimmt einem ohnehin nicht von Extraklasse geprägten Ensemble viele Chancen, zum Wesentlichen der Figuren vorzudringen.

Gina Hallers Ophelia? Eine Hysterikerin auf Knopfdruck, aufdringlich im Spiel. Der neue König, Mörder seines Vorgängers und Onkel des Titelhelden? Stefan Hunsteins Claudius wächst über die erwartbare Charakter-Melange (illegal, scheinloyal, erzbrutal) kaum hinaus. Und Hamlets Mutter Gertrud? Sie wird in Mercy Dorcas Otienos vagen Tönen zur Nebensache in Person.

Das Ensemble wird wenig überzeugend geführt. In Johan Simons’ Bochumer „Hamlet“ rauschen die Figuren ohne Tiefe vorbei

Da lauscht man lieber den dankbaren Clowns. Wie Bernd Rademachers Staatsrat Polonius die mausgraue Willfährigkeit des diplomatischen Dienstes auf tonlose Spitzen treibt, ist ein Bochumer Kabinettstück. Und so sehr der quietschige Kinderspielplatz nervt, auf den Simons die zwei Totengräberinnen jagt, so ein schauriger Jux ist jene Verrücktheit, die Jing Xiang dafür als Friedhofsgärtnerin mobilisiert.

Am Ende wird sich Sandra Hüller zieren, den Jubel des Publikums allein entgegenzunehmen. Aber anders kann es gar nicht sein. Das Thema Hosenrolle hat sie uns schon nach den ersten Sätzen vergessen lassen. Hüller durchmisst den Text mit schlanker, von den Verhältnissen angefassten Natürlichkeit. Wie sie da einfach steht und über Wahn und Weltenwende, Hass und Herzlosigkeit räsoniert, da ist Hüller weder Frau noch Mann, Mensch nur, isoliert, geschunden. Das sind die bannenden Momente des Abends, die über allem schweben – im Grunde als empathische Rezitation.

Am Ende, wenn der Tod mit Gift und Dolch durchregiert, ist das in Bochum kein Theater mehr, nur noch Tragödie als Hörensagen. Es sind Worte, Worte, Worte – so nah an Hamlet und doch so fern.

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