Bochum. . In „Lehrer*innen“ zeichnet der Autor Björn Bicker ein trübes Bild des überforderten Paukers. Schauspielprofis und echte Lehrer spielen gemeinsam.
Der Lehrer, das zerrissene Wesen: Gehetzt zwischen Klassenzimmer und Pausenhof, genervt von bockigen Schülern und ermüdet von den karrieregeilen Kollegen treibt es nicht wenige von ihnen geradewegs in den Burnout. Und doch versuchen sie, einen Rest von Würde und Lust an ihrem Job zu bewahren.
Ein trübes Bild des modernen Pädagogen zeichnet der Autor Björn Bicker in seinem Stück „Lehrer*innen“. In der Regie von Malte Jelden ist die Aufführung bis Ende Juni an mehreren Orten in der Stadt zu sehen – sehenswert nicht nur für gebeutelte Lehrkräfte.
„Lehrer*innen“ (das merkwürdige Gender-Sternchen hätte mir mein Deutschlehrer damals als Fehler angestrichen) ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert. Zunächst ist es die ungewöhnliche Wahl des Schauplatzes. So stieg die Uraufführung im großen Sitzungssaal des Rathauses, der noch nie fürs Theater offen stand, obwohl hier so manche Schmierenkomödie bekanntlich bereits aufgeführt wurde.
Bühnenbild zeigt goldenen Boden
Das Bühnenbild von Nadia Fistarol zeigt einen goldenen Boden und zwei riesige Bildschirme. Die Zuschauer sind auf Bänken wie in einer Turnhalle um das Geschehen herum platziert. Wer keine Gefahr laufen möchte, unerwartet zum Teil des Spiels zu werden, setzt sich besser in eine hintere Reihe.
Beachtlich ist auch die Besetzung: Denn neben einer Reihe erfahrener Schauspieler stammt der überwiegende Teil des Ensembles direkt aus der Penne. Etwa zehn Lehrer aus mehreren Bochumer Schulen stürzen sich unerschrocken ins Theaterabenteuer.
Laien und Profis wachsen zusammen
Leicht macht es ihnen der Autor nicht, denn sein Text ist sprunghaft – und wird von den Spielern zudem in wildem Wechsel chorisch und ohne feste Rollenzuteilung gesprochen. Wie sehr die Laien und die Profis im Laufe des 100-minütigen Spiels zu einer Einheit zusammenwachsen, ist wirklich schön anzusehen.
Und überhaupt: der Text. Statt bloß Pauker-Witze durchzukauen, nähert sich Björn Bicker seinem Thema auf feinfühlige, differenzierte Weise. Erzählt wird die Geschichte der jungen Lehrerin Fatma, die an ihrer Schule die Hölle schlechthin erlebt. Seit der Schüler Igor seinem Mitschüler mit einem Messer in den Hals stach, häufen sich bei Fatma die Panikattacken.
Tiefe Einblicke in das Seelenleben einer Lehrerin
Natürlich ist eine solche Bluttat „ein absolut megamäßiger Ausnahmefall“, wie eilig betont wird, und doch bietet sie einen dramaturgisch cleveren Aufhänger, um tiefere Einblicke in Fatmas Seelenleben und auch in ihre komplizierte Familiengeschichte zu bekommen. In Fatma, die ihren Beruf einst mit viel Idealismus antrat, aber im Laufe weniger Jahre vom System Schule komplett überrollt wurde, werden sich einige im Saal wiedererkennen.
In einem fulminanten Schluss-Monolog machen sich die Lehrer grundlegende Gedanken über ihren Berufsstand und ihre herausfordernde Klientel: „Kinder, die unentwegt quasseln. Kinder, die dich zur Weißglut bringen. Kinder, die dich zum Lachen bringen. Das sind unendlich viele Kinder.“ Ihr Fazit klingt nüchtern: „Wir schaffen uns ab. Wir ziehen uns aus. Wir sagen, dass wir nichts mehr wissen.“ Ganz großer Beifall. Eins mit Sternchen.
Karten und Termine: 0234 / 33 33 55 55.
>>> Das sagen die WAZ-Theaterscouts
Sabine Schweinsberg: Aktuelle Themen gehören ins Theater! Die Idee, sich des Themas mit einem gemischten Ensemble anzunehmen, ist ausgezeichnet. Ebenso das Stück an verschiedenen Spielorten aufzuführen. Die Zusammenarbeit des Ensembles klappt gut. Allerdings wird mir dieser vielstimmige Chor irgendwann zu viel, zumal die Positionen hinlänglich bekannt sind. Erfrischend ist die Darstellung einzelner Charaktere und die Interaktion mit dem Publikum. Anekdoten aus dem Schulalltag werden in kleinen Sketchen dargestellt.“
Edgar Zimmermann: Für mich einer der Theaterhits dieser Saison. Nicht nur für Lehrer, die ihren Alltag mit allen Nöten und Höhepunkten vorgeführt bekommen, sondern für jedermann. Besonders wird auf die Bedeutung der Rolle der Eltern im Entwicklungsprozess der Heranwachsenden eingegangen, unabhängig von ihrer sozialen Rolle in der Gesellschaft. Träume und Alpträume werden vorgeführt in einem tollen Zusammenspiel von Laien und professionellen SchauspielerInnen. Schüler, auch ihr solltet euch das unbedingt ansehen!“