Bochum. . Jüdische Gemeindemitglieder verbergen aus Angst ihren Glauben, öffentlich wird die Kipa versteckt. Die Polizei kümmert sich um Sicherheit.

Es gibt ihn, den ganz konkreten Antisemitismus in Bochum, manchmal ganz nah, direkt vor der Synagoge hoch über der Castroper Straße. Da stellt sich etwa ein junger Mann frech vor die Synagoge, hebt den rechten Arm zum Hitlergruß und lässt sich so mit dem Handy fotografieren.

Das Bild taucht später bei Facebook auf. „Wir melden solche Vorkommnisse natürlich direkt der Polizei“, sagt Aleksander Chraga, Geschäftsführer der Gemeinde. Doch mehr noch als solche Vorfälle, bedrückt die alltägliche Angst viele Mitglieder der Gemeinde.

Männer wollen nicht beschimpft werden

Wenn etwa die männlichen Mitglieder nach dem Sabbat-Gottesdienst mit der Kipa auf dem Kopf das Gemeindezentrum verlassen, verbergen sie diese traditionelle jüdische Kopfbedeckung unter einem Hut, einer Baseballkappe oder einer Kapuze. Die Männer erklären dann: „Wir haben einfach keine Lust, auf der Straße angegriffen oder beschimpft zu werden.“

In der Synagoge muss die Kipa getragen werden. In der Öffentlichkeit verbergen die meisten Juden diese Kopfbedeckung.
In der Synagoge muss die Kipa getragen werden. In der Öffentlichkeit verbergen die meisten Juden diese Kopfbedeckung. © Ingo Otto

Das gehe soweit, so erzählt Olga Isaak, die unter anderem das Jugendzentrum der Gemeinde betreut, dass viele Eltern ihren Kindern raten, nicht zu sagen, dass sie Juden seien. „Es kommt sogar vor, dass diese Kinder dann einfach am katholischen oder evangelischen Religionsunterricht teilnehmen, um nicht aufzufallen“, erzählt sie.

Doch es ist nicht nur der Antisemitismus von rechts, der Sorge bereitet. „Wir beobachten unter den Flüchtlingen oder unter Menschen, die schon lange hier leben, eine steigende antisemitische Tendenz“, sagt Aleksander Chraga. Junge islamische Männer würden radikalisiert, beschimpften Juden auf offener Straße. Wenn früher viele Juden mit Stolz den Davidstern oder ein anderes jüdisches Symbol als Schmuck gut sichtbar an einer Kette um den Hals trugen, bleibt er nun verborgen unter der Kleidung.

Verstärkt Antisemitismus von Zuwanderern

Mustafa Calikoglu vom Centrum-Cultur der Arbeiterwohlfahrt (Awo) weiß um die Gefahren dieser Formen des Antisemitismus. Er ist unter anderem für die Flüchtlingsarbeit und Integrationsarbeit zuständig. Er beschreibt mit einem Beispiel tief sitzende Vorurteile. Vor wenigen Monaten habe er mit syrischen Flüchtlingen im Rahmen der Interkulturellen Woche die Bochumer Synagoge besucht : „Drei Männer haben sich geweigert, in der Synagoge die Kipa (Kopfbedeckung) zu tragen“, berichtet Calikoglu. Sie durften dann nicht mit in den Synagogenraum.

Der achtarmige Chanukka-Leuchter ist ebenfalls ein traditionelles jüdisches Symbol. Seine Kerzen werden zum  Lichterfest  angezündet.
Der achtarmige Chanukka-Leuchter ist ebenfalls ein traditionelles jüdisches Symbol. Seine Kerzen werden zum Lichterfest angezündet. © Knut Vahlensieck

Später im Gespräch mit den Männern sollen sie erzählt haben, dass sie Angst gehabt hätten. Sie fürchteten, so berichtet Calikolgu, in ihrer Heimat als jüdische Sympathisanten angesehen zu werden. „Das hat natürlich etwas mit der syrisch-israelischen Geschichte zu tun, einer uralten Feindschaft. Nicht nur junge Leute, sondern auch viele Ältere haben diese Vorbehalte. Da haben wir eine große Baustelle.“ Er schlägt vor, dieses Thema auch zum Bestandteil der Integrationskurse, die für Flüchtlinge verpflichtend sind, einzubauen.

Alexander Chraga von der jüdischen Gemeinde jedenfalls wünscht sich in Bochum mehr Engagement von der deutschen Zivilgesellschaft. Er verweist auf die Nachbarstadt Dortmund, dort ist vor wenigen Tagen eine Grundsatzerklärung gegen Antisemitismus unterzeichnet worden. Oberbürgermeister, Polizeipräsident und rund 20 verschiedene Organisationen machen dort klar, dass und vor allem wie sie gegen jede Form von Antisemitismus in der Stadt vorgehen möchten.

Für die Polizei ist die Synagoge ein wichtiges Objekt

Chraga vermisst ein solch starkes einmütiges Bekenntnis derzeit noch in Bochum. Was die Gemeinde selbst tun könne, mache sie seit langem. Die Kita direkt im Gemeindezentrum ist offen für Kinder ganz unterschiedlicher Herkunft. „Wir können nur über die Begegnung Prävention machen“, sagt Olga Isaak. Dazu gehören auch die immer noch regelmäßig stattfindenden Führungen durch die Synagoge.

Für den Staatsschutz der Bochumer Polizei ist die Synagoge mit dem Gemeindezentrum ein wichtiges Objekt, das geschützt wird. Einmal im Jahr gibt es ein Sicherheitsgespräch in dem aktuelle Entwicklungen thematisiert werden.

Während im Land die Zahlen antisemitischer Straftaten angestiegen sind, gab es in Bochum jedenfalls von 2016 mit acht Straftaten auf fünf solcher Delikte 2017 sogar einen Rückgang. Wobei es meist um Volksverhetzungsdelikte oder das Zeigen von verfassungsfeindlichen Symbolen ging. Nach wie vor zentral sei das Jüdische Gemeindezentrum mit der Synagoge. Hier zahlt das Land die Mehrkosten für entsprechende technische Sicherungsmaßnahmen.

Zusätzlich zeigt die Polizei regelmäßig Präsenz vor Ort, sei es uniformiert oder in zivil. „Die Synagoge ist ein ganz sensibles Objekt, das mit modernsten technischen Mitteln geschützt wird“, so ein Polizeisprecher.