Bochum-Stiepel. . Der alte Baubestand im Bochumer Süden, der seinen Charme ausmacht, verschwindet immer mehr. An seine Stelle tritt moderner Wohnungsbau.
Wenn WAZ-Leser Hermann Wilhelm die Straßen in Stiepel entlang läuft, dann schüttelt er oft mit dem Kopf. Zwar ist er selber gar kein Ur-Stiepeler, erzählt er, sondern kam erst 1971 der Liebe wegen aus Heilbronn in den Bochumer Süden. Doch die schleichenden Veränderungen, die sich hier seit einer Weile einstellen, beobachtet Wilhelm mit wachsender Sorge.
Als Grund nennt er die vielen Neubauten, die an den idyllisch gelegenen Straßen in Stiepel und weiter unten im Dorf seit einigen Jahren aus dem Boden sprießen und offenbar auf das Interesse einer gut betuchten Käuferschaft stoßen.
Wilhelm vermisst den dörflichen Charme
„Die schönen, alten Fachwerkhäuser, die über Jahrzehnte das Stadtbild prägten, verschwinden immer mehr“, meint er. Die Folge: „Stiepel verliert seinen dörflichen Charme und sein Gesicht.“ An ihre Stelle treten immer mehr „würfelartige Wohnblöcke“, wie Wilhelm sie nennt.
Solche neuen Wohngebiete entstehen derzeit an einigen Stellen in Stiepel: Zwischen Düsterstraße und Vorm Felde wird ebenso kräftig gebaut wie an der Kemnader Straße in der Nähe des kleinen Einkaufszentrums, wo ein Bauprojekt mit 14 Eigentumswohnungen als „Vivaldi-Park“ beworben wird.
Besonders schmerzlich sind bei vielen älteren Stiepelern die Erinnerungen an das alte Haarmann-Thiemann-Haus, das an der Ecke Kemnader/Brockhauser Straße stand. Das Fachwerkhaus galt als Stiepeler Wahrzeichen, beherbergte bis ins 19. Jahrhundert eine Konditorei, später eine Wirtschaft. Ende September 2016 brannte es ab. Jetzt entstehen auch hier neue Häuser, die so gar nicht ins Bild passen wollen, meint Hermann Wilhelm.
Harmonische Stadtentwicklung oder schnelle Rendite?
Ob das nicht einfach der Lauf der Zeit ist? Da ist sich der pensionierte Jurist nicht ganz sicher: „Die Frage ist doch, ob das harmonische Stadtentwicklung ist, oder ob nur der schnellen Rendite Rechnung getragen wird“, sagt er. „Ich möchte keinesfalls romantisch an traditioneller Bauweise festhalten, sondern einfach nur einen Denkanstoß geben.“
Geschichtskreis schaut auf Stiepeler Stadtbild
Die allmählichen Veränderungen im Stiepeler Stadtbild sind Thema beim nächsten Treff des Geschichtskreises, den der Stiepeler Verein für Heimatforschung anbietet.
Historisch Interessierte treffen sich am Montag (18.) um 19 Uhr in der Pfingstblume an der Brockhauser Straße 126. Wer mitdiskutieren möchte, ist herzlich willkommen.
Diesen nimmt der Stiepeler Verein für Heimatforschung gerne auf. Schon lange sehen die Hobby-Historiker den Wandel im Stadtteil mehr als kritisch. Am Montag (18.) trifft sich genau zu diesem Thema der Geschichtskreis. „Mir blutet das Herz, wenn ich sehe, wie das Dorf jetzt aussieht“, sagt Heimatforscher Wilhelm Hensing. „Und mir fällt es schwer, darin eine vernünftige Planung zu erkennen.“
Merkwürdiges Wirrwarr
Die dörfliche Struktur sei komplett zerstört. „Aber da hätte man sich früher Gedanken drüber machen müssen.“ So sei es laut Hensing durchaus denkbar gewesen, das „alte“ Stiepel gemeinsam mit dem Haus Kemnade und der Hattinger Altstadt als „hervorragendes Beispiel für sanften Tourismus“ leuchten zu lassen. „Doch diese Zeiten sind vorbei.“
Besonders kritisch sieht Hensing die Bauweise im Stiepeler Zentrum: „Da sind 45 Baustile aneinander gepappt“, meint er. „Ich kann dieses merkwürdige Wirrwarr dort nicht ertragen.“ Und Hensing ist sich sicher: „Das ist noch längst nicht das Ende.“
Breitkopf weist die Schuld zurück
Bezirksbürgermeister Helmut Breitkopf (SPD) sieht die Stadt nur bedingt in Haftung: „Es gibt keine rechtlichen Möglichkeiten, die Bebauung zu verhindern“, meint er. Und manche Stiepeler hätten ihre Grundstücke „wohlwissend an den Meistbietenden“ verkauft. Die Folge: „Allein der Investor bestimmt dann, was gemacht wird.“
Allerdings hätte in Stiepel vonseiten der Unteren Denkmalbehörde genauer geprüft werden können, welches Haus unter Denkmalschutz gehört und welches nicht. „In der Regel liegt hier kein Denkmalschutz vor, weil die Bedingungen dafür nicht erfüllt sind oder die Häuser vor Jahrzehnten umgebaut wurden“, meint Breitkopf.