Bochum. Der Wälzlager-Händler Picard wächst rasant. Seit 2012 hat er seinen Umsatz auf 95 Millionen Euro verdoppelt. Nun baut er seinen Standort aus.

Wenn das kein Musterbeispiel für den gelungenen Strukturwandel ist. Als Bergbauzulieferer, der Picard einst war, gäbe es das traditionsreiche Familienunternehmen heute wohl nicht mehr. Aber weil es rechtzeitig den Absprung geschafft und mutig neue Absatzmöglichkeiten gesucht hat, ist es heute einer der weltweit führender Lieferanten des technischen Fachhandels mit Wälzlagern.

Mit einem Umsatz von 95 Millionen Euro rechnet Picard in diesem Jahr. Das ist doppelt so viel wie noch vor sechs Jahren und drückt in zwei eindrucksvollen Zahlen aus, warum die Firma schon wieder baut. Nur sechs Jahre nachdem sie ihren schmucken Firmensitz an der Dietrich-Benking-Straße bezogen und damit als Anker die gelungene Erschließung des Gewerbegebiets Hiltrop begonnen hat, baut sie an. Das bisherige Lager und die Verwaltung platzen aus allen Nähten.

172 Beschäftigte aus 29 Nationen

15 Millionen Euro investiert Picard in den Ausbau und verdoppelt dabei unter anderem seine Lagerfläche. Ein Grund dafür: Als weltweit führender Online-Anbieter in seiner Branche, legt das Unternehmen Wert auf einen möglichst breiten und tiefen Lagerbestand, der weiter ausgebaut werden soll. Dank der guten Konjunktur im Inland, aber auch der Expansion nach Nord- und Südamerika, wachsen Absatz und Umsatz ständig.

Auch die Belegschaftszahl ist vehement gewachsen: 172 Beschäftigte aus 29 Nationen arbeiten in der erfolgreichen Multi-Kulti-Firma. Deren Geschäftsführer Jan Kruse richtete beim Richtfest für die neue Lagerhalle einen flammenden Appell an Politik und Gesellschaft für ein offenes Europa und ein Ende der internationalen Kleinstaaterei. „Wir als Bochumer Traditionsunternehmen pflegen Kontakte in ganz Europa. Lassen sie uns daran arbeiten, europäische Werte zukunftsfähig zu machen.“

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Im Dialog begrüßten Kruse und sein Geschäftsführerkollege Martin Reinhardt die Gäste. Darunter NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU), die Picard dankte für das „Bekenntnis zum Ruhrgebiet und zu Bochum“ sowie für die Verbindung von Tradition und Moderne, und die stellvertretende Präsidentin des NRW-Landtags, Carina Gödecke (SPD). Sie erinnerte an die Hilfe des Landes bei der Entwicklung des früheren Zechengeländes und dankte Picard dafür, dass es vier Geflüchteten eine Chance auf dem Arbeitsmarkt gegeben habe.

Spende für das 1000-Bänke-Programm

So wie sie strich auch Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD) heraus, dass im Strukturwandel vor allem eines stecke: Chancen. Dieses habe das Ruhrgebiet anderen Regionen in Deutschland voraus, die momentan vielleicht noch nicht einmal ahnten, dass sie vor einem tiefgreifenden Wechsel stehen. Und zur Feier des Tages durfte er auch noch ein Geschenk für die Stadt mitnehmen. Picard beteiligt sich mit einer Spende für drei Bänke an dem 1000-

Über eine Brücke werden „Altbau“ und Neubau miteinander verbunden.
Über eine Brücke werden „Altbau“ und Neubau miteinander verbunden. © Klaus Pollkläsener

Bänke-Programm von Stadt und WAZ.

„Wir rocken das Ding“, hatte zuvor Geschäftsführer Martin Reinhardt angekündigt, der damit gleichermaßen den feierlichen Akt wie die Entwicklung der Firma meinte. Bemerkenswert sei, dass der frühere Bergbau-Zulieferer sein neues Zuhause auf einem Zechengelände finde, nämlich der früheren Schachtanlage und Kokerei Lothringen IV.

13 Meter Höhenunterschied

Einfach ist die Firmenerweiterung nicht. Von besonderen topografischen Voraussetzungen ist die Rede. Der Anbau liegt auf einem Gelände 13 Meter unterhalb des Hauptgebäudes. Eine Herausforderung, die aber weder Picard noch das ausführende Unternehmen Giesers Stahlbau aus Bochholt geschockt hat. „Man muss so etwas schon wollen“, machte Picard-Chef Kruse die Entschlossenheit von Geschäftsleitung und Firmeninhaber Marc Picard deutlich.

Im Frühjahr soll die Halle bezugsfertig sein. Deren markantes Äußeres kennzeichnet sich nicht nur durch die Höhe von 20 Metern, sondern auch durch die 25 Meter lange und 14 Meter breite, freitragende Brücke, die in luftiger Höhe „Altbau“ und Neubau miteinander verbindet. Im kommenden Jahr soll dann die Erweiterung der Verwaltungsfläche um zwei Drittel auf knapp 4500 Quadratmeter realisiert werden.

Sollte das rasante Wachstum anhalten, sind die nächsten Anbauten bereits geplant und mit der Stadt abgestimmt. Dabei geht es um Lagerflächen auf dem unteren und dem oberen Grundstück ebenso wie ein weiteres Bürogebäude auf dem unteren Grundstück.

>>Seit 1922 in Familienbesitz

  • Wälzlager sind Maschinenelemente, da nahezu jede Bewegung aufgrund einer Rollbewegung erleichtern und die Reibung verringern. Sie erfüllen vor allem zwei Funktionen: Sie übertragen Bewegung und leiten Kräfte weiter.
  • Die Picard GmbH wurde 1922 in Bochum gegründet und ist in dritter Generation im Familienbesitz. Eigentümer ist Marc Picard.
  • Das Traditionsunternehmen wirbt zwar für sich mit „Captain Picard“ - in Anspielung auf den Kapitän der Enterprise. Doch während die Filmfigur französisch ausgesprochen wird, nämlich „Piccarr“, ist die Aussprache für den Firmennamen deutsch – Pikkat“.
  • In Zeiten der Digitalisierung wachse zwar die Automation und der Maschineneinsatz, so Geschäftsführer Jan Kruse. „Aber dafür können Menschen Aufgaben übernehmen, die wirklich wichtig sind: die Kommunikation.“
  • Seite mehr als 20 Jahren übernimmt Picard jeden Azubi und gibt ihm „eine feste berufliche Zukunft“, so Geschäftsführer Martin Reinhardt. Er selbst ist ein gutes Beispiel für die Karrieremöglichkeiten im Haus. Anfangen hat er 1984 als Auszubildender zum Groß- und Außenhandelskaufmann. In diesem Jahr haben elf neue Azubis im Unternehmen begonnen, das vor einigen Tag von der IHK Mittleres Ruhrgebiet als bester Ausbildungsbetrieb des Jahres gekürt wurde.
  • Zwei frühere Betriebsstätten des Unternehmens gibt es noch in Bochum: auf der Viktoria-Straße 67 direkt gegenüber dem Anneliese-Brost-Musikzentrum und auf der Herner Straße 172 (Mr. Wash).