Bochum. . Der zu einem Investor gehörende Bochumer Verein Verkehrstechnik bekommt mehr Aufträge. Von einem Ausverkauf nach China könne keine Rede sein.
Der Anblick ist immer noch etwas gewöhnungsbedürftig. Wer an der Gussstahlstraße das Werkstor der Bochumer Verein Verkehrstechnik (BVV) GmbH passiert, der sieht hinter dem Pförtnerhaus zwei hohe Fahnenmasten: An einem hängt die deutsche Flagge, am anderen die chinesische. Sie symbolisiert den Verkauf des 176 Jahre alten Unternehmens an einen chinesischen Investor.
Das ist der Anfang vom Ende, unkten Kritiker, als das Geschäft vor einem Jahr bekannt wurde. Es gehe nicht um einen Verkauf, sondern um einen Ausverkauf. 2017 war ein schwieriges Jahr: Der BVV schrieb rote Zahlen, der Umsatz – 2015 waren es noch etwa 200 Millionen Euro – schrumpfte.
Unternehmen hat 470 Mitarbeiter
Zwölf Monate später stellt sich die Situation positiver dar als befürchtet. Wie angekündigt wurde die Belegschaft zwar reduziert – ohne betriebsbedingte Kündigungen, wie es heißt. Derzeit sind 470 Mitarbeiter bei dem Hersteller von Radsätzen für Eisenbahntechnik beschäftigt. Das Unternehmen fahre wieder auf einem Wachstumskurs, so Geschäftsführer Karlheinz Springer. „Die Aufträge sind gegenüber dem Vorjahr um 30 Prozent, der Umsatz ist um zehn Prozent gestiegen“, so der 59-jährige frühere Siemens-Manager. Das Effizienzprogramm, mehr Räder mit weniger Beschäftigten herzustellen, habe ebenso gegriffen wie die Übernahme durch Full Hill Enterprise Limited (Hongkong).
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„Vor allem der Verkauf hat uns neue Vertriebsmöglichkeiten auf dem chinesischen Markt eröffnet“, sagt Springer und lässt durchblicken, dass es ohne diesen Schritt eng geworden wäre für den Bochumer Verein. Denn China, das zuvor seine Aufträge ins Ausland stark reduziert hatte, ist der Absatzmarkt Nummer eins in einem der BVV-Kerngeschäfte: der Herstellung von Rädern für Hochgeschwindigkeitszüge. 2000 dieser bis zu 400 km schnellen Züge fahren in China, 400 weitere mit je 64 Rädern sollen jedes Jahr gebaut werden, darunter die in China entwickelten CR250 und CR350, für die dem BVV von einem der beiden großen Hersteller bereits eine Zertifizierung vorliegt.
Vom europäischen Markt allein kann BVV nicht leben
Zum Vergleich: In Deutschland fahren gerade 260 Hochgeschwindigkeitszüge. Allein vom europäischen Markt könnte der BVV nicht leben. In China hofft er als Teil der Full Hill Enterprise, einer Holding mit weiteren Firmen im Bereich der Eisenbahnindustrie, die Sitze, sanitäre Anlagen und Bremsen herstellen, etwas vom großen Kuchen abzubekommen, zumal chinesische Hersteller auch ins Ausland drängen.
So kommen Räder für chinesische Metrozüge in Melbourne (Australien) und Chicago (USA) aus Bochum. Und nicht nur die Erstausrüstung spielt eine Rolle. Alle paar Jahre müssen die Räder eines Hochgeschwindigkeitszuges ausgetauscht werden. Karlheinz Springer ist daher überzeugt: „Der Bochumer Verein wird in den nächsten fünf Jahren ein deutliches Wachstum aufweisen und immer noch in Bochum produzieren.“ Allerdings sei dazu eine weitere Effizienzsteigerung nötig.
Im Betriebsrat werden sie diese Ankündigung nicht gerne hören, sie kündet von einem möglichen weiteren Personalabbau. Aber in einem Punkt ist sich die Arbeitnehmervertretung mit der Geschäftsführung einig: „Für einen Ausverkauf gibt es überhaupt keine Anzeichen“, so Betriebsratsvorsitzender Jürgen Wolf. Und: „Wir können froh sein, diesen Investor gefunden zu haben.“
Der wiederum scheint zufrieden zu sein. „Die Investition lohnt sich jetzt schon“, sagt Geschäftsführer Dr. Baoli Wang, der seit dem vergangenen Jahr zur BVV-Leitung gehört. Es sei eine Win-Win-Situation.
>>> INFO: Ein Unternehmen mit zwei Standorten
Der Bochumer Verein besteht aus den beiden Standorten Bochum (470 Beschäftigte) und Ilsenburg (Sachsen, 150). Die Radsatzfabrik Ilsenburg GmbH wurde 1991 von der VSG Vereinigte Schmiedewerke GmbH Bochum gekauft und 2013 als Teil der Georgsmarienhütte Holding mit dem Bochumer Verein verschmolzen.