Bochum. . Auf dem ehemaligen Gelände der Justiz in Bochum soll bis 2021 ein Geschäftsquartier entstehen. Die Politik ist über den Weg dorthin zerstritten.
Die Zukunft der Bochumer Innenstadt ist heute ein großes Thema im Rat der Stadt (ab 13 Uhr, Rathaus). SPD und Grüne sind festen Willens, eine Vorlage der Stadtverwaltung zu beschließen, die im Kern den Ankauf des Telekomblocks und die Anmietung von 15 000 Quadratmetern Bürofläche im „Viktoria-Karree“ vorsieht.
Das Geschäftsquartier entsteht auf dem ehemaligen Justizgelände gegenüber vom Husemannplatz. Viele der Oppositionsparteien im Rat sprechen sich dagegen aus, sehen hohe Kosten und große Risiken auf die Stadt zukommen.
Das sagen die Befürworter
SPD und Grüne stehen mit ihrem Ja zum Konzept der Verwaltung nicht allein da. Auch das Cityforum, dem die Werbegemeinschaften IBO, „Das Quartier“, „ISG Bermuda3eck“, der Einzelhandelsverband (EHV) und die Industrie- und Handelskammer (IHK) angehören, befürworten es.
Entwicklung der Innenstadt: Was bisher geschah
Überlegungen zur Neugestaltung der Bochumer Innenstadt gibt es seit mehr als zehn Jahren. Auslöser war die Entscheidung des Landes für den Bau des Justizzentrums am Ostring.
Ursprünglich sollten das Justizgelände an der Viktoriastraße (10 524 qm) und der Telekomblock (6179 qm) gegenüber dem Rathaus gemeinsam als Einzelhandels- und Geschäftsquartier entwickelt werden. Der Kauf des Telekomblocks durch die M. Baltz Holding GmbH im Herbst 2013 verhinderte dies.
Die aktuellen Pläne der Stadt basieren auf einem Ratsbeschluss von Juli 2017.
Drei Schwerpunkte sind gesetzt: der Bau des Viktoria-Karrees mit 15 000 qm Handelsfläche durch den Investor HBB; Kauf und Entwicklung (mit Bücherei, VHS und Markthalle) des Telekomblocks seitens der Stadt; die Neuordnung der Verwaltung (inkl. Abriss BVZ, Musikschule, Gesundheitsamt, Anzeiger-Haus). Zum Ausgleich müssen Büroräume angemietet werden. Am Standort BVZ sind Wohnhäuser geplant.
„Aus unserer Sicht stimmt das Gesamtpaket. 15 000 Quadratmeter Einzelhandel (Anm. d. Red: Diese entstehen im Karree.) sind verträglich, die Markthalle kann Bochum ein Alleinstellungsmerkmal liefern, die Anmietung von Büroflächen durch die Stadt sorgt für mehr Leben in diesem Teil der Innenstadt. Dies alles findet unsere Zustimmung“, sagt Marion Runge (EHV). Stefan Postert (IHK) freut sich, „dass hier nicht vorhabenbezogen gedacht wird, sondern die Gesamtentwicklung der Innenstadt im Fokus steht. Diese Entscheidung bringt zudem für andere Eigentümer und Mieter die Planungssicherheit, die sie so dringend benötigen.“
„Dieses Konzept orientiert sich mit Blick auf Handel, Dienstleistung und Wohnen nah an der Realität. Ich habe Respekt vor der Leistung unserer Verwaltung, die nach jahrelanger Arbeit zu diesem Ergebnis gekommen ist“, sagt SPD-Fraktionschef Peter Reinirkens.
Das sagen die Skeptiker und Gegner
Insbesondere die Anmietung der Büroflächen im Viktoria-Karree ist CDU, Linken, FDP/Stadtgestaltern und Sozialer Liste zufolge „wirtschaftlicher Unsinn“. Der Hanseatischen Betreuungs- und Beteiligungsgesellschaft (HBB) als Investor beschert der Vertrag garantierte Mieteinnahmen in Höhe von 56 Millionen Euro. Hinzu kommen 13 Millionen Euro für die unter dem Projekt geplante Tiefgarage, die von der Stadttochter WEG betrieben werden soll.
„Die Stadt ist bereit, einen Preis oberhalb des Markts zu zahlen, um das Einkaufszentrum in der jetzigen Planung zu retten. Das ist eine teure Subvention, bei der mit öffentlichen Mitteln eine private Investition abgesichert werden soll, die wir vehement ablehnen“, sagt Volker Steude (FDP/St.).
„Städtische Gebäude abreißen und anschließend dauerhaft Miete zu bezahlen, das ist ein gutes Geschäft für den Investor, aber ein miserables für die Stadt“, kritisiert Horst Hohmeier (Linke). Ähnlich formuliert die Soziale Liste ihre Kritik. Günter Gleising: „Städtische Gebäude abzureißen, bei gewinnorientierten Investoren unterzukriechen und horrende Mieten zu zahlen ist ein Ausverkauf städtischer Interessen an Investoren.“
Die Kostenfrage
Dem Grundsatzbeschluss zur „Entwicklung entlang der Viktoriastraße“ von 2017 lag ein wichtiges Argument zu Grunde: Die beschlossene Variante mit dem Abriss des Bildungs- und Verwaltungszentrums (BVZ) und anderer städtischer Gebäude (Musikschule, Gesundheitsamt, Anzeiger-Haus) war mit Kosten in Höhe von 101 Millionen Euro als günstigste ausgewiesen.
Nicht einmal ein halbes Jahr später ist diese Zahl nichts mehr wert. Allein der Mietvertrag mit der HBB (15,50 Euro nettokalt pro qm Mietfläche und Monat) verschlingt fast zwei Millionen Euro mehr als veranschlagt, der Kauf des Telekomblocks kostet 6,5 Millionen Euro.
Das Postgebäude muss zudem aufwendig saniert und umgebaut werden. Dokumentiert sind Schäden im Keller durch den U-Bahn-Bau, der Luftschutzkeller steht unter Wasser. Die Stadt plant hier zwar mit Fördermitteln, unter dem Strich aber werden hier viele Millionen Steuergelder investiert werden müssen, um dort Bücherei, Musikschule und eine Markthalle unterbringen zu können.
Während der städtische Wirtschaftsförderer Ralf Meyer im Zusammenspiel mit SPD-Ratsfrau Deborah Steffens im Strukturausschuss noch mit einer Brutto-Netto-Nebelkerze (die Netto-Miete der Stadt ist für den Investor steuerlich eine Brutto-Miete) eine Kosten-Debatte zu vermeiden versuchte, redet Peter Reinirkens Klartext: „Ich käme nie auf die Idee, das Konzept für die günstigste Lösung zu halten.“
Das gelte auch für die Grundstückserlöse, die man für die Fläche des BVZ erwarte. „Wir haben doch beim Neuen Gymnasium gesehen, dass das oft eine Milchmädchenrechnung ist.“ Wer die Entwicklung der Innenstadt in Richtung des Konzeptes wolle, der müsse sich klar bekennen. „Die SPD tut das auch. Eine Grundsatzentscheidung allein von Kosten abhängig zu machen, ist nicht klug“, so Reinirkens.
Das Risiko
CDU und AfD sehen in den Mietverträgen der Stadt mit der HBB einen Verstoß gegen das europäische Vergaberecht. Die AfD kündigt gar an, die EU-Kommission einschalten zu wollen. Der Deal mit dem Investor sei als Bauauftrag zu werten, da die Stadt detaillierte Vorgaben nicht nur für Büros, sondern auch für die geplanten Gebäude mache. Nicht zuletzt die Höhe der Baukörper sei einem Wunsch der Stadt geschuldet. HBB-Geschäftsführer Harald Ortner bestätigte dies in einem Gespräch mit der WAZ.
Ein Blick in die Anhänge zum Mietvertrag stützt die Befürchtungen von CDU und AfD: Die Vorgaben der Stadt sind sehr genau und beziehen sich sogar auf Datendosen, Steckdosen, EDV-Leitungen, Fliesen in Teeküche und Eingangsbereichen, Türen und vieles mehr. „Alle unsere Bedenken sind bestätigt worden“, sagt CDU-Fraktionsvize Roland Mitschke. „Die vergaberechtlichen Bedenken der AfD können wir teilen.“
Auch in der Vorlage der Verwaltung ist der Einfluss der Stadt unmissverständlich formuliert: „Die Zustimmung zur Anmietung von Dienstleistungsflächen für die Stadt sowie zur notwendigen Entwidmung und zum Austausch von Flächen machen das Gesamtvorhaben erst realisierbar.“
Stadtbaurat Markus Bradtke vertraut indes auf Gutachten, die keine vergaberechtlichen Bedenken anmelden. Mindestens eines davon erstellte indes eine Kanzlei, die auch für den Investor HBB arbeitet.
Anträge der Opposition
Die CDU will das Projekt mittlerweile komplett stoppen. In einem Antrag für die heutige Sitzung des Rates fordert die Partei die Stadt auf, in Gesprächen mit dem Land NRW zu klären, ob vom Kaufvertrag mit der HBB zurückgetreten werden und die Stadt das Justizgelände selbst kaufen könne. Die HBB ist bislang nicht Eigentümer der Flächen, für die sie 12 Millionen Euro zahlen soll.
Sollte dies möglich sein, schlägt die CDU vor, auf dem Gelände durch eine städtische Gesellschaft ein Verwaltungsgebäude bauen zu lassen, das im Erdgeschoss Flächen für Gastronomie und Handel mit Dingen des täglichen Bedarfs vorsehen soll. FDP/Stadtgestalter werden das begrüßen. Berechnungen dieser Fraktion zeigen, dass die Stadt rund 25 Millionen Euro sparen kann, wenn sie selbst baut.