Düsseldorf. Der mutmaßliche Vergewaltiger von Bochum wurde von den Behörden betreut. Die Bochumer Polizei stufte die Tat als Verschlusssache ein.
Die Bochumer Polizei hat die brutale Vergewaltigung durch einen aktenkundigen Sexualstraftäter unter Verschluss gehalten und sich damit Vertuschungsvorwürfen ausgesetzt.
Bereits am 18. Februar war in den frühen Morgenstunden am Bochumer Blumenfriedhof eine 33-jährige Frau auf dem Heimweg von einer Disco-Nacht bewusstlos geschlagen und vergewaltigt worden. Bei dem 30-jährigen Tatverdächtigen, der wenige Tage später festgenommen werden konnte, handelt es sich um einen einschlägig vorbestraften Mann, der im Landespräventionsprogramm „KURS“ („Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern“) betreut wurde.
Meldung ans Innenministerium als Verschlusssache eingestuft
Die Bochumer Polizei verschwieg der Öffentlichkeit das Verbrechen und stufte zudem eine interne WE-Meldung („Wichtiges Ereignis“) an das NRW-Innenministerium als Verschlusssache ein. Die Polizei begründete die Geheimhaltung mit dem Schutz des schwer mitgenommenen Opfers, räumte dies jedoch am Mittwoch als Fehler ein: „Zukünftig werden wir in vergleichbaren Fällen offensiv berichten.“
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In Düsseldorf wurde darüber spekuliert, dass das Präventionsprogramm „KURS“ durch die brutale Vergewaltigung nicht in Misskredit gebracht werden sollte. „Der Innenminister muss nun schnellstmöglich für Transparenz sorgen, bevor sich der Eindruck verfestigt, hier solle etwas vertuscht werden“, forderte Grünen-Innenexpertin Verena Schäffer. Innenminister Herbert Reul (CDU) kritisierte die Kommunikationspanne: „Die Pressearbeit in dem Bochumer Fall entspricht nicht meinem Verständnis von Transparenz.“
1056 Straftäter im KURS-Programm
Seit 2010 stehen in NRW rückfallgefährdete Sexualstraftäter, die ihre Gefängnisstrafe oder Sicherungsverwahrung abgesessen haben, unter Aufsicht von Polizei und Justiz. Zurzeit gibt es 1056 solcher Straftäter im KURS-Programm. Der mutmaßliche Bochumer Täter gehörte zur Kategorie B „mit hohem Gefahrenpotenzial“. Nach seiner Haftentlassung 2014 sei seine Sozialprognose jedoch gut gewesen: Er habe Arbeit gefunden, an Therapien teilgenommen und Hochzeitspläne gehabt.
Gewerkschaft sieht keine Vertuschungsabsicht
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) widersprach einer Vertuschungsabsicht. „Das Kurs-Programm ist erfolgreich, auch wenn es leider keine absolute Sicherheit gibt. Wir hätten keinen Grund gehabt, etwas zu verschweigen“, sagte GdP-Landeschef Arnold Plickert. Das Landeskriminalamt erklärte, bei den KURS-Teilnehmern gebe es eine Rückfallquote von drei Prozent, bei unbetreuten Sexualstraftätern hingegen liege sie bei 20 bis 24 Prozent.
Mutmaßlicher Täter seit 2014 auf freiem Fuß
Der Tatort der brutalen Vergewaltigung von Bochum ist ein besonders bitterer Zufall: Das 33-jährige Opfer begegnete ihrem Peiniger am frühen Morgen des 18. Februar auf dem Heimweg aus dem Amüsierviertel „Bermuda Dreieck“ ausgerechnet unweit der Justizvollzugsanstalt Krümmede. Dort wird gerade die „Sotha“ gebaut, die neue sozialtherapeutischen Anstalt für Sexual- und Gewalttäter.
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Den 30-jährigen mutmaßlichen Vergewaltiger hätte man aber selbst in einer solchen Anstalt nicht festhalten können. Er war seit 2014 rechtmäßig auf freiem Fuß. Eine Haftstrafe von vier Jahren und neun Monaten hatte er trotz eines Geständnisses bis zum letzten Tag abgesessen. 2009 hatte der früh aktenkundige Sexualstraftäter schon einmal eine unbekannte Frau in einem Dortmunder Park in den frühen Morgenstunden überfallen und vergewaltigt.
Dem Mann wurde ein "hohes Gefahrenpotenzial“ zugeschrieben
Für solche rückfallgefährdeten Vergewaltiger, die ihre Strafe verbüßt haben und für die vom Gericht keine Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, hat NRW 2010 das Präventionsprogramm „KURS“ aufgelegt. Das Kürzel steht für: „Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern“. Von den rund 1000 Männern, die sich zurzeit in dem Programm befinden, fallen nur etwa 80 in die gefährlichste Kategorie A. Sie werden eng überwacht, was viel Personal bindet.
Der Tatverdächtige von Bochum gehörte dagegen zu den etwa 500 Risikofällen der Kategorie B, denen immer noch ein „hohes Gefahrenpotenzial“ zugeschrieben wird. Man wähnte ihn auf einem guten Weg. Job, Therapien, feste Beziehung mit Heiratsplänen. Die Partnerin des Tatverdächtigen wusste von dem Vorleben ihres zukünftigen Mannes. Sogenannte Gefährderansprachen und punktuelle Observationen sollen Anlass zur Hoffnung auf ein straffreies Leben des Probanden gegeben haben. Obwohl sich Polizei, Justizvollzug, Staatsanwaltschaft und Bewährungshilfe eng abstimmten, könne es „leider zu solchen Gewaltexplosionen kommen“, hieß es in Sicherheitskreisen. Jeder Fall, so die Bochumer Polizei, bleibe „eine Gratwanderung“.
Der Innenausschuss des Landtags wird sich in seiner nächsten Sitzung mit dem Fall befassen. Dass der mutmaßliche Bochumer Täter Teilnehmer eines Landespräventionsprogramms war, könnte für Innenminister Herbert Reul (CDU) ungemütlich werden. 2016 hatte sich sein Amtsvorgänger Ralf Jäger (SPD) viel Kritik gefallen lassen müssen, weil der Anschlag auf einen Sikh-Tempel in Essen ausgerechnet von Jugendlichen begangen worden war, die den Behörden aus dem Salafismus-Präventionsprogramm „Wegweiser“ bestens bekannt waren. „Ihr Wegweiser zeigt in die falsche Richtung“, warf damals CDU-Innenexperte dem politisch angezählten Jäger vor.