Bochum. . In Bochum steht der mutmaßliche Täter im Mordfall Rottstraße vor Gericht. Der Angeklagte beteuert seine Unschuld. Viele Fragen bleiben ungeklärt.
Der Mörder kam in den Morgenstunden gegen 8 Uhr. Und er brachte die Hölle mit. Ein Rentner-Ehepaar wurde in seiner Erdgeschosswohnung an der Rottstraße in der Innenstadt mit so unsagbarer Brutalität und Mitleidlosigkeit misshandelt, dass die Frau (79) noch am Tatort verblutete.
Ihr beinamputierter Mann (78) starb drei Wochen später, ohne sich zuvor an Tat und Täter zu erinnern. Gestern begann der Prozess gegen den Verdächtigen (35). Er bestreitet aber – und es wird Schwerstarbeit für die Richter, ihm eine Täterschaft nachzuweisen.
Verbrechen hat in Bochum für Entsetzen gesorgt
Kaum ein Verbrechen hat in Bochum für so großes Entsetzen gesorgt. Am 10. Februar 2017 soll der arbeitslose Schweißer und Bauhelfer aus Recklinghausen in die Wohnung gekommen sein, um die Eheleute auszurauben. Viel zu holen gab es dort nicht, denn sie lebten in bescheidenen Verhältnissen.
Die Frau bekam zwei Messerstiche in den Hals, massive Tritte oder Schläge gegen den Kopf und wurde gewürgt. Dem Ehemann, der auf den Rollstuhl angewiesen war und im Bett lag, wurden beide Augäpfel zerrissen, er erblindete. Außerdem wurde sein Gesicht mit mindestens sechs Schlägen oder Tritten völlig zertrümmert.
20 Stunden lag der Rentner neben seiner toten Frau
20 Stunden lag er offenbar bewusstlos neben seiner toten Frau, dann rief er mit letzter Kraft um Hilfe. Ein Nachbar hörte ihn in der Nacht. Der Täter soll ihn für tot gehalten haben, bevor er aus der von ihm verwüsteten Wohnung mit Bargeld in unbekannter Höhe und einer Handvoll Schmuckstücken geflüchtet ist.
Monatelang fand die Kripo trotz hohen Aufwands, etwa mit Spezialspürhunden, keine heiße Spur. Ende Juli dann aber ein Volltreffer: Am Hosenbein der Leiche befand sich eine DNA-Spur, die zum Angeklagten passt. Wegen vieler Vorstrafen (gefährliche Körperverletzung, Drogendelikte, Raub, Diebstahl) ist er im DNA-Register gespeichert. Sofort wurde er verhaftet. (eine Chronik des Falls finden Sie am Artikelende)
Angeklagter beteuert seine Unschuld
Der kleine und schmächtige Mann, ein in Herne aufgewachsener Deutsch-Türke, der klassisches Ruhrgebietsdeutsch spricht, beteuert aber seine Unschuld. Seine DNA könnte auch bei anderer Gelegenheit an den Tatort gelangt sein, denn er hatte in 2015 in dieser Wohnung zusammen mit dem Sohn (49) der Eheleute und dessen Ehemann (49) einen kleinen Wasserschaden beseitigt und die Stelle neu tapeziert. Sein Verteidiger Jens Tuschhoff sagt, er sei „überzeugt, dass er die Tat nicht begangen hat“.
Er verweist darauf, dass der Großteil des Schmucks in der Wohnung zurückgelassen worden sei. Über Bargeld wisse man ebenfalls nichts Genaues – der Raub sei lediglich eine „These“.
Zweite DNA-Spur gehört Tochter der Opfer
Außerdem: Am Hosenbein gab es noch eine zweite DNA-Spur. Die gehöre zur Tochter der Eheleute. Diese habe zur Tatzeit aber in Amerika gelebt. Warum ordne die Staatsanwaltschaft die Täterschaft dann aber nur seinem Mandanten zu? Die völlig verhältnislose Brutalität deute auch eher auf einen emotionalen Hintergrund hin als auf einen materiellen.
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Fragen über Fragen. Und es gibt weitere Rätsel: Die 79-Jährige hatte immer genau geprüft, wen sie in die Wohnung lässt. Den Angeklagten kannte sie aber bestenfalls nur sehr flüchtig von zwei Kurzkontakten, die länger zurückliegen. Einbruchspuren gibt es nicht.
Sohn beschreibt Mutter als misstrauisch und vorsichtig
„Meine Mutter war misstrauisch und vorsichtig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie einfach die Tür aufmacht, ohne zu fragen: Wer ist da?“, sagte der 49-jährige Sohn der beiden Opfer gestern den Richtern.
Der Frührentner aus Herne kennt den Angeklagten seit rund sieben Jahren. Sein Ehemann (49) knüpfte damals in einem Schwulen-Forum im Internet Kontakt zu ihm. Es habe seitdem unregelmäßigen Sex mit dem Angeklagten gegeben, sagen die beiden Männer. Außerdem habe der Angeklagte Marihuana besorgt und in ihrer Wohnung zusammen geraucht.
Sohn hatte nach der Tat Kontakt zum Angeklagten
Auch nach dem Mord verkehrte der Angeklagte dort. Er habe ihnen sogar sein Beileid bekundet und den Sohn in den Arm genommen, sagen die beiden Zeugen. War diese Geste eiskalter Zynismus? Völlig wesensfremd wäre das nicht, denn der Angeklagte hatte das Paar auch schon einmal zu Hause bestohlen: 100 Euro und ein Fahrrad.
Es wird wohl ein langer Indizienprozess.