Bochum. . Bochumer Erstaufführung des Aischylos-Dramas wird gefeiert. Familienstück „Pünktchen und Anton“ findet begeisterte Zuschauer im Schauspielhaus.
Größer können die Gegensätze an einem Theaterwochenende kaum sein: am Samstagabend in den Kammerspielen ein dunkles Spiel für Erwachsene bei der antiken „Orestie“ (Kritik auf der Kulturseite im Hauptteil) – und tags drauf im Schauspielhaus ein fröhliches, buntes Durcheinander mit anschließender Kinderdisco bei der Premiere von Kästners „Pünktchen und Anton“. Die Neugierde ist groß, beide Vorstellungen lange ausverkauft.
Dass es in den knapp 100 Jahren, seit Saladin Schmitt 1919 an der Königsallee ein eigenes Ensemble gründete, noch nie eine Aufführung der weltberühmten „Orestie“ des Aischylos gegeben hat, wird wohl als besonderes Bonmot in die Geschichte des Schauspielhauses eingehen. Und das Publikum scheint sich der Bedeutung dieser besonderen Bochumer Erstaufführung durchaus bewusst zu sein: Es herrscht konzentrierte Stille im Saal, die erst am Ende von einem herzlichen bis euphorischen Beifall durchbrochen wird.
Mit dem Rotstift
Ob Regisseurin Lisa Nielebock den Rotstift nicht etwas zu heftig angesetzt hat, fragten sich einige Zuschauer vor Beginn der Vorstellung etwas bang. Immerhin ist das monumentale Werk in ihrer Inszenierung nur noch knapp zwei Stunden lang. Doch die Zeiten, in denen Regie-Altmeister Peter Stein das Ur-Drama noch auf sieben Stunde brachte (wie 1980 an der Berliner Schaubühne), scheinen ohnehin vorbei zu sein. Auch die neue Aufführung in Düsseldorf dauert nur zwei Stunden.
Wer etwas tiefer in die Aischylos-Saga einsteigen möchte, dem sei ein Besuch der Düsseldorfer „Orestie“ empfohlen, denn ein Vergleich lohnt. Die Rolle der Klytaimestra dort spielt Minna Wündrich, an die sich viele Bochumer gern erinnern.
Am Sonntag erlebten dann kleine und große Theatergänger eine komplett hinreißende Premiere von „Pünktchen und Anton“, die ganz im Sinn von Kästners Vorlage leicht skurril und im besten Sinne altmodisch daher kam. Kritik folgt.
>>> Das sagen die WAZ Theaterscouts zu „Die Orestie“:
Nicole Wenk: „Ich bin mit sehr gemischten Erwartungen in die Inszenierung gegangen. Doch bin ich überrascht, wie man die vielschichtige Handlung der Orestie auf den Punkt bringen kann, ohne dem Stück etwas zu nehmen. Lisa Nielebock ist es gelungen, das Atriden-Drama mit einer umwerfenden Klarheit und Sachlichkeit auf die Bühne zu bringen. Das Bühnenbild unterstreicht die Frage, wieviel Raum der Mensch hier für eigenes Handeln hat oder ob er doch nur als Spielball der Götter fungiert. Die Figuren sind überzeugend herausgearbeitet, und die Schauspieler brillieren in ihren Rollen, allen voran Anke Zillich. Und wahrscheinlich obliegt es dem weiblichen Blick, das Aischylos-Drama nicht auf die Grausamkeiten zu reduzieren, sondern die ethischen Fragen in den Mittelpunkt zu stellen. Großartig!“
Yvonne Mölleken: „Gemessen am Applaus war das Publikum begeistert, und auch ich möchte das Stück gern weiterempfehlen, obwohl der Theaterabend auch Schwächen zeigte. Als Zuschauer darf man sich auf ein Stück voller Symbolik freuen – und der Verlauf bleibt verständlich, obwohl einige Darsteller mehrere Rollen bekleiden. Die Exposition gleicht einem Hörspiel mit verteilten Rollen, geht dann in eine szenische Lesung über und endet schließlich in einem wahrlich großen Theater, das in seinen Bann zieht, wobei vor allem Anke Zillich als Klytaimestra zur Hochform einer tragischen Figur findet. Leider gerät dann aber der große Augenblick des Werkes, in dem der Fluch endet und das Prinzip der Rache von einer geordneten Rechtsprechung abgelöst wird, nicht wirklich zum kraftvollen Höhepunkt.“