Bochum. . Angriffe gehen oft von Patienten, seltener von Angehörigen aus. Stadt bringt Vorfälle seit Anfang des Jahres konsequent zur Anzeige – mit Erfolg.
- In einer Studie untersucht die Ruhr-Universität Gewalt auf Rettungsdienstmitarbeiter
- Viele geben an, Erfahrungen mit verbaler oder körperlicher Gewalt gemacht zu haben
- Bochumer Rettungsdienstleiter und DRK-Sprecher bestätigen die Studienergebnisse
Ein Unfall: Rettungssanitäter versorgen den Verletzten. Plötzlich steht ein Mann hinter ihnen und brüllt los: „Ihr Arschlöcher sollt eure Scheißkarre vernünftig parken!“ Er ist nicht zu besänftigen, pöbelt herum, schubst einen Sanitäter.
Einer Studie der Ruhr-Universität zufolge gehören Szenen wie diese zum Alltag vieler Rettungsdienstmitarbeiter. Demnach wird jeder achte im Einsatz Opfer körperlicher Gewalt.
Studie befragt 810 Einsatzkräfte
810 Einsatzkräfte von Feuerwehren und Rettungsdiensten in NRW hatten sich im Mai und Juni an einer Umfrage des Lehrstuhls für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft beteiligt. 13 Prozent der Teilnehmer gaben an, in den vorangegangenen 12 Monaten mindestens einmal körperliche Gewalt im Einsatz erlebt zu haben. 60 Prozent hatten Erfahrungen mit verbaler Gewalt gemacht.
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„Immer häufiger wird eine rote Linie überschritten“, sagt Martin Weber, der Leiter des Bochumer Rettungsdienstes. Und er kann auch genau beschreiben, von wem und unter welchen Umständen: Es seien überwiegend männliche Patienten, die bei Notfalleinsätzen in den Abend- oder Nachtstunden Rettungskräfte angehen. Oft unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln oder Alkohol. Dass Angehörige handgreiflich werden, komme weitaus seltener vor. Pro Monat verzeichnet die interne Statistik der Feuerwehr Bochum im Schnitt zwei Fälle.
Häufig lösen Banalitäten den Konflikt aus
Die Gründe für Ausraster verbaler und körperlicher Natur? „Banalitäten“, sagt Wolfgang Schieren, Sprecher des DRK Bochum. Ein Rettungswagen, der in zweiter Reihe parkt, Helfer, die mit dreckigen Schuhen den Teppich verschmutzen, und nicht zuletzt vermeintliches Fehlverhalten des Rettungswagenfahrers im Straßenverkehr.
„Es kommt oft vor, dass wir Dinge tun, die für Verkehrsteilnehmer nicht erklärbar sind“, sagt Schieren. Dass der Rettungswagen trotz Blaulicht und Martinshorn langsam fährt, veranlasse so manchen dazu, den Mittelfinger zu zeigen oder seinen Unmut lautstark zu äußern. Dass ein Schwerverletzter im Wagen liegt, der möglichst behutsam transportiert werden muss, weiß ja niemand.
Wolfgang Schieren hat selbst fast 18 Jahre im aktiven Rettungsdienst gearbeitet. Früher sei man als Helfer zu einer Schlägerei gekommen, habe Verletzte versorgt, während die Schläger woanders weitermachten. „Heute ist es schwierig, nicht plötzlich selbst im Zentrum der Auseinandersetzung zu stehen.“ Das Verständnis für die Arbeit der Helfer fehle, der Respekt vor ihnen ebenfalls. Von einer „Verrohung der Sprache“ spricht Schieren, von niedrigen Hemmschwellen und Egoismus. Quer durch alle sozialen Schichten.
Täter zum Umdenken bewegen
Bei Feuerwehr und Rettungsdienst schult man die Mitarbeiter gezielt in deeskalierendem Verhalten, bringt ihnen bei, Angriffe abzuwehren und sich mit der vorhandenen Notfallausrüstung zu schützen. Zudem sollen sie bei jedem Einsatz die Möglichkeit eines geordneten Rückzugs im Hinterkopf behalten.
Seit Anfang des Jahres werden Attacken auf städtische Rettungsdienstmitarbeiter konsequent angezeigt. Mit Erfolg, wie Martin Weber festgestellt hat: Erste Verfahren seien nun mit rechtskräftigen Verurteilungen abgeschlossen worden. „Wir hoffen, dass das eine Verhaltensänderung bewirkt.“