Bochum. . RUB-Forscher wollen vorhersagen, wo ein Unfall passieren könnte, um ihn zu vermeiden. Sie entwickeln eine digitale Plattform für Arbeitsschutz.

  • Um mehr Arbeitssicherheit zu ermöglichen, entwickeln Forscher eine digitale Plattform für Arbeitsschutz
  • Das Projekt heißt: Sicheres Arbeiten auf der digitalisierten Baustelle
  • Weltweit ereignen sich jährlich 60 000 Todesfälle auf Baustellen. In Deutschland sind es circa 80 im Jahr

Um zu erklären, wie zukünftig Arbeitsschutz aussehen könnte, greift Dr. Jochen Teizer ganz nach oben ins Schauspieler-Promiregal. Tom Cruise und der Film „Minority Report“ dienen dem Mann vom Lehrstuhl Informatik im Bauwesen der Ruhr-Universität als Vorbild. „In dem Film geht es darum, dass man voraussagen kann, wo Verbrechen passieren und dass man sie mit Hilfe eines speziellen Programms verhindern kann. Wir wollen vorhersagen, wo ein Unfall passiert, beziehungsweise wo ein Unfall passieren könnte. Damit wollen wir ihn verhindern.“

Um mehr Arbeitssicherheit auf Baustellen zu bekommen, entwickeln Forscher der RUB gemeinsam mit mehreren Industriepartnern eine digitale Plattform für die Planung, Schulung und Steuerung des Arbeitsschutzes. Das Projekt heißt: Sicheres Arbeiten auf der digitalisierten Baustelle.

Arbeitsschutz soll von Digitalisierung profitieren

„Die Möglichkeiten der Digitalisierung und virtuellen Realität bei der wirtschaftlichen Planung von Bauvorhaben werden schon genutzt,“ sagt Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Markus König. „Der Arbeitsschutz profitiert bisher noch nicht davon.“ Das soll sich ändern und damit auch zwingend die Zahl der Todesfälle. „Weltweit“, sagt Projektleiter Teizer, „ereignen sich jährlich 60 000 Todesfälle auf Baustellen. In Deutschland sind das circa 80 pro Jahr. Vor zehn Jahren waren das noch circa 150. Die Bauindustrie ist immer in den Top zwei bei der Unfallstatistik.“

Unterstützt das Bundesverkehrsministerium bei der Digitalisierung des Bauens: Markus König, Professor an der Ruhr-Universität.
Unterstützt das Bundesverkehrsministerium bei der Digitalisierung des Bauens: Markus König, Professor an der Ruhr-Universität. © Marquard/RUB

Zu den häufigsten Unfallursachen gehören der Absturz aus Höhen und das Arbeiten im Umfeld von Baumaschinen sowie eben auch der unsachgemäße Umgang mit Geräten.

Der Trend sei klar, sagt Teizer. „Die Firmen müssen bereit sein, ihren Umgang mit der Arbeitssicherheit zu ändern. Das ist nicht zwingend eine Kostenfrage. Hellhörig werden die Firmen immer dann, wenn ich ihnen erkläre, dass sie pro einem in Arbeitsschutz investierten Euro, drei Euro Gewinn durch eine erhöhte Produktivität machen. Zum Beispiel dadurch, dass es keine Stolperfallen mehr gibt. Dadurch können sich die Arbeiter schneller auf der Baustelle bewegen.“

Baustellen werden digital geplant

In drei Schritten wollen die RUB-Forscher die Baustellen sicherer machen. „Zunächst einmal planen wir die Baustellen digital durch“, sagt Teizer. Das passiert mit BIM – Building Information Modelling. Diese Methode soll schon in einem frühen Planungsstadium Architekten, Ingenieuren und Fachplanern helfen, die Planungs- und Kostensicherheit zu erhöhen. „Damit kann man einige Gefahrenquellen bereits ausschließen“, sagt Jochen Teizer. „Zum Beispiel kann man vorab sehen, wo man ein Gerüst brauchen wird. Sie sind sicherer als eine Leiter, die bei unsachgemäßer Benutzung leicht umfallen kann. Ein Großteil von Gefahrenstellen wird damit eliminiert.“

Der zweite Schritt ist die Erforschung von sogenannten proaktiven Sensortechnologien. „Menschen sollen zukünftig einen automatischen Alarm bekommen, also sie sollen einen Ton hören, wenn sie sich im Gefahrenbereich von Maschinen aufhalten“, sagt Teizer. „Genau da gibt es oft Beinahe-Unfälle.“

Schritt drei schließlich ist das Sammeln von Daten über diese Beinahe-Unfälle. „Das kann man sich dann so vorstellen wie bei den Fußballern, bei denen die Laufwege aufgezeichnet werden“, sagt Teizer. „Da entstehen Heatmaps, Hitzepläne, wo sich der Spieler besonders oft aufgehalten hat. Das gibt es dann für Baustellen und die Bauleiter sehen damit, wo und wie oft Gefahrenpunkte auftreten.“

Menschen nehmen Hinweise nicht richtig auf

Die Technologie sei als Schutz gedacht. „Wir werden die Rechte der Arbeiter respektieren, sie dennoch in ihren Entscheidungen besser unterstützen“, sagt Teizer. „Zwar haben Baufirmen per Gesetz ein sicheres Arbeitsumfeld bereitzustellen, jedoch noch nicht ein personalisiertes Feedback. Bei guten Firmen wird täglich neu auf Gefahrenquellen hingewiesen. Das Problem ist oft dabei, dass die Menschen diese Hinweise nicht mehr richtig aufnehmen.

Wenn wir vorher aber bereits Gefahrenquellen eliminieren, oder die Bauarbeiter interaktiv in einem Computerspiel darauf hinweisen können, haben wir schon viel gewonnen. Die Bauarbeiter können die Baustellen vorab erleben und am realistischen virtuellen Modell sicher üben. Sie können dann wiederum entscheiden, wo möglicherweise Unfallgefahren lauern. Auch dieses Training hilft Unfälle vorab zu vermeiden.“

>>> INFO: Förderung durch das Forschungsministerium

Die Forscher der Ruhr-Universität wollen im Ruhrgebiet ein Kompetenzzentrum für digitales Planen von Baustellen und zur Verbesserung der Arbeitssicherheit aufbauen. Das aktuelle Projekt „Sicheres Arbeiten auf der digitalisierten Baustelle“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit rund 1,5 Millionen Euro für die nächsten drei Jahre gefördert.

  • Neben den Lehrstühlen Informatik im Bauwesen sowie Informations- und Technikmanagement der RUB sind am Projekt das Bauunternehmen Ed. Züblin AG, Frankfurt am Main, die Topcon Deutschland Positioning GmbH, Hamburg, das Essener Unternehmen Ceapoint für Software und Consulting und die Selectronic Funk- und Sicherheitstechnik GmbH, Hünste, beteiligt.