Bochum. . Volkswagen Infotainment wächst um 70 Prozent. Das frühere Blackberry-Entwicklungszentrum beschäftigt sich jetzt mit digitaler Vernetzung.

  • Vor drei Jahren stand das europäische Blackberry-Entwicklungszentrum in Bochum vor dem Aus
  • Seit der Übernahme durch VW im Jahr 2014 entwickelt sich die Nachfolge-Firma prächtig
  • Volkswagen Infotainment liefert für den Konzern eine der Schlüsseltechnologien von morgen

364 Mitarbeiter der Volkswagen Infotainment GmbH erhalten heute Post. Die beiden Geschäftsführer gratulieren der Belegschaft zum dritten Geburtstag ihres Unternehmens. Vor drei Jahren ist die VW-Tochter aus dem europäischen Entwicklungszentrum des kränkelnden kanadischen Smartphone-Herstellers Blackberry hervorgegangen und hat seitdem eine rasante Entwicklung genommen.

Die Belegschaft ist um 70 Prozent gewachsen, die Anerkennung des Konzerns für seine Bochumer Tochter ist immens und die Aufgabenstellung herausfordernd. „Wir beschäftigen uns mit der schnurlosen Verbindung des Autos an seine Umwelt“, erklärt Bernhard Krauße, Sprecher der Geschäftsführung von Volkswagen Infotainment. Es geht um „connecting cars“, um die Vernetzung von Fahrzeugen der nächsten Generation. In Bochum wird Zukunft gemacht.

Strenge Geheimhaltung

Hinter verschlossenen Türen. Kein Blick in die Büros der Software-Ingenieure, die die Mehrzahl der zu 90 Prozent akademischen Beschäftigten bildet. Kein Foto ohne ausdrückliche Genehmigung, keine Details von den Produkten und Dienstleistungen von morgen.

Nur so viel wird deutlich beim Gespräch mit Bernhard Krauße (52), der schon zu Blackberry-Zeiten die Geschäftsführung innehatte und der den Übergang zu VW wesentlich mitgeprägt hat, und seinem Geschäftsführer-Kollegen Tobias Nadjib (44): Es geht um eine der Schlüsseltechnologien in der mobilen Welt.

VW war eines der ersten großen Autounternehmen, das sich dazu die Kompetenz von Netzwerk-Experten gesichert hat. „Mittlerweile kaufen alle großen Hersteller solche Firmen auf“, sagt Bernhard Krauße.

© Gero Helm

Der Markt für vernetzte Technologien wächst wächst

Kein Wunder. Das vernetzte Auto gehört neben dem autonomen Fahren und der E-Mobilität zu den Schlüsseltechnologien der Automobilwirtschaft von morgen. Laut einer Studie der international tätigen Unternehmensberatung McKinsey wird der weltweite Markt für Connectivity-Komponenten und -Dienste bis zum Jahr 2020 von heute 30 Milliarden Euro auf 170 Milliarden Euro wachsen.

Angebote wie Echtzeit-Wartungsinformationen, dynamische Stauprognosen oder Musikstreaming würden künftig bei der Autowahl eine große Rolle spielen. Ergo hängt für Volkswagen viel ab von den kreativen Köpfen in Bochum.

Stauvorhersage und Umleitungsempfehlung in Echtzeit sind möglich

Was heute schon geht in einem VW, davon geben Bernhard Krauße und Tobias Nadjib in einem Passat-Modell der neuesten Generation einen kleinen Eindruck: Stauvorhersage und Umleitungsempfehlung in Echtzeit, das Tankstellenangebot mit Spritpreisen, Marken und Wegangaben.

In Windeseile können die Informationen vom VW-Server in Wolfsburg abgerufen werden. „VW Car-Net“ heißt das Angebot, das derzeit 50 Features umfasst – die meisten von ihnen „made in Bochum“.

Teamarbeit wird groß geschrieben

Dabei habe die Arbeit an vernetzten Mobilen nur noch wenig mit der Entwicklung von Mobiltelefonen zu tun. „Die Geräteentwicklung ist eine der wenigen Analogien zu früher“, so Bernhard Krauße. Eines allerdings war für VW von herausragender Bedeutung, als es 2014 das Entwicklungszentrum mit der kompletten Belegschaft übernahm.

„Unsere Mitarbeiter haben eine ausgeprägte Projekt-Orientierung. Vorgaben betrachten sie als Herausforderung, der Ausstoß an Erfindungen ist groß“, erklärt Geschäftsführer Tobias Nadjib, der 2014 aus Wolfsburg nach Bochum kam. Kurzum: Kompetenz, Kreativität und Teamwork sind überdurchschnittlich hoch ausgeprägt.

Der Umgang im Unternehmen ähnelt dem in Start-Ups

Auf Teamgeist legen sie in den Etagen vier bis sechs des Vita Campus, der direkt neben dem Technologie-Zentrum Ruhr im Westen des Uni-Campus liegt, großen Wert. Und fernab der Konzernzentrale pflegen sie einem Umgang, der eher einem Start-up- als einem Dax-Unternehmen ähnelt. Tatsächlich ist Volkswagen Infotainment beides.

Es ist ein bisschen hip, in Bochums neuer Autoschmiede tätig zu sein. Dass sich alle Mitarbeiter, vom Azubi bis zum Geschäftsführer, duzen, ist schon mal ungewöhnlich. Gleiches gilt für die Möglichkeit der mobilen Arbeit. „Bis zu vier Tage in der Woche können unsere Bschäftigten zu Hause arbeiten“ so Tobias Nadjib. „Uns geht es nicht um Anwesenheit. Die Ergebnisse sind wichtig.“ Und es gehe um ein produktives Arbeitsumfeld.

Von Grätz bis Volkswagen

Das scheint auf dem Uni-Campus gegeben zu sein. Wie sonst ist das Geschenk der Mitarbeiter zum ersten Firmen-Geburtstag an die Geschäftsführung zu verstehen. Von weitem sieht es nur aus wie eine Foto vom Vita Campus, einem mehrstöckigen Gebäude im Ruhr-Uni-Stil. Wer näher herantritt, sieht – auf das eigentliche Motiv gedruckt – die Porträts aller Mitarbeiter, die bildlich gesprochen den ganzen Laden ausmachen.

Radio, Navi, Telefon und mehr: Modernste Technik ist längst in vielen Autos Standard.
Radio, Navi, Telefon und mehr: Modernste Technik ist längst in vielen Autos Standard. © Gero Helm

Leute wie Ulrich Lehmann. Der 58-Jährige war schon zu Blackberry-Zeiten dabei, hat zuvor bei dessen Vorgänger Nokia gearbeitet, ja hat sogar beim Fernsehhersteller Grätz gelernt, in dessen Fabrikhallen auf dem Thelen-Areal in Riemke einst Nokia sein großes Bochumer Werk errichtet hat.

Zuversicht beim Übergang

Den Weg von der Röhrentechnik von damals zur digitalen Vernetzung der Gegenwart mit dem Computer im Auto bezeichnet Lehmann als „Quantensprung“: Und er ist stolz, ein Teil dieser Entwicklung zu sein, bei Volkswagen Infotainment ist er Testverantwortlicher für die mobilen Online-Dienste.

Sein Chef ist seit 1995 in Bochum: erst bei Nokia, dann bei Blackberry und nun bei Volkswagen. „Ich war überzeugt, dass wir den neuen Aufgaben gewachsen sein werden. Wir haben schon vorher beim Übergang von Nokia zu Blackberry bewiesen, dass wir eine solche Umstellung bewältigen können“, sagt Bernhard Krauße. Die vergangenen drei Jahre geben ihm Recht.

Blick in die Zukunft

Und dann gewährt er doch noch einen kleinen Einblick, wie Features der Zukunft aussehen könnten. Wer sich im Urlaub plötzlich fragt, ob er sein Auto daheim oder im Parkhaus am Flughafen abgeschlossen hat, der werde das womöglich mit Car-Net-Technik aus Bochum überprüfen können. Und nicht nur das. Auch schließen ließe sich der Wagen mit einer App auf dem Smartphone.