Bochum. . Den rund 80 Teilnehmern des Projekts „Schulen in Bewegung“ gelingt eine packende Aufführung des Jugendbuchklassikers in den Kammerspielen.

  • Aufführung des berühmten Romans von William Golding spart nicht mit deftigen Szenen
  • Zeitlos aktuelle Parabel zeigt, wie schnell Zivilisiertheit in Barbarei kippen kann
  • Projekt hat wieder eine ganze Menge Jugendlicher fürs Theater begeistert

Das Tier ist tot. Regungslos liegt die junge Sarah (in dem Roman heißt die Figur Simon) auf dem Boden, nachdem die wilde Meute das Mädchen unerbittlich mit Bambusrohren traktiert hat.

Ihr Anführer Jack peitscht die Gruppe weiter auf, alle schreien wie entfesselt „Tötet das Tier!“ und hämmern mit ihren Stöcken so laut auf den Boden, dass die Besucher in den voll besetzten Kammerspielen erschrocken zusammenzucken.

Es sind schon deftige Szenen, die die rund 80 Teilnehmer des Theaterprojekts „Schulen in Bewegung“ den Zuschauern bei ihrer Aufführung des Jugendbuchklassikers „Herr der Fliegen“ zumuten. Doch in abgemilderter Form, so hatte es die künstlerische Leiterin Martina van Boxen zuvor erklärt, würde das Stück nicht funktionieren – und sie hat Recht behalten. Denn die berühmte Vorlage ist eben mächtig finster, und entsprechend hartnäckig, mit viel Ernst und Charisma wird sie von den jungen Darstellern auf die Bühne gebracht.

Beinahe jedem, der in den 80er und 90er Jahren die Schulbank drückte, ist William Goldings Roman schon begegnet. Die Geschichte um eine Gruppe britischer Schüler, die beim Ausbruch des Dritten Weltkriegs evakuiert werden soll und auf einer unbewohnten Pazifikinsel strandet, ist eine zeitlos aktuelle Parabel, die zeigt, wie schnell Zivilisiertheit in Barbarei kippen kann.

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© Diana Küster

Eindrucksvoll choreographierte Szenen

Mit 26 jungen Schauspielern im Alter von 13 bis 18 Jahren gelingen Martina van Boxen eindrucksvoll choreographierte Massenszenen, die während des rund einstündigen Spiels kaum Platz zum Luftholen lassen. Die Bühnenfassung von Nigel Williams wird sanft um neudeutschen Jugendslang ergänzt. Die Inszenierung ist rasant, das Timing sitzt. Auch die (etwas lang geratenen) Videoeinspieler unterfüttern das Thema anschaulich.

Bemerkenswert ist, dass inmitten des großen Wirbels immer wieder junge Akteure mit fein gespielten Auftritten heraustreten: etwa Alexija Selimovic als strenger Anführer Jack oder Jan Klöpper, der als Ralph tapfer dagegenhält. Beachtlich spielen auch Luise Knof (Piggy), Teresa Saringer (Sarah) und Tristan Wulff (Roger).

Schöne Szenen gibt es beim Schlussapplaus, wenn sämtliche Teilnehmer des Projekts – von der Bühnen- bis zur Kostümabteilung – auf der Bühne stehen und von den Zuschauern kräftig gefeiert werden. Keine Frage: Dieser „Herr der Fliegen“ hat wieder eine ganze Menge Jugendlicher fürs Theater begeistert.

Wieder am 13., 14., 19. und 20. Juni sowie 3. und 4. Juli. Karten: 0234 / 33 33 55 55.

>>>> Das sagen die WAZ Theaterscouts:

Astrid Hagedorn: „Der Roman desillusioniert schon als Schullektüre alle, die an die Ideale eines liberalen Zusammenseins glauben. Heute zeigen die Teilnehmer des Projekts ‘Schule in Bewegung’ in den Kammerspielen mit großer Ausdrucksstärke, wie sich Gruppendynamik aufpeitscht, wie Besonnenheit niedergetrampelt wird. Ob Kostüme, Bühne, Multimedia oder Schauspiel: Die Inszenierung ist mitreißend gelungen. Ein großes Lob an alle!“

Edgar Zimmermann: „Erstaunlich, wie die Theatermannschaft so viele jugendliche Laien auf den Punkt trainiert bekommt. Am besten gelungen sind die animalischen Tanzszenen und die Herausarbeitung der gefährlichen Triebhaftigkeit der Masse. Weniger überzeugend sind die etwas lieb- und ausdrucklosen moralisierenden Hintergrundvideos. Eine Aufführung, die Nachdenklichkeit produziert. Etwas mehr Tiefe der Charaktere hätte ich mir gewünscht.“

Nicole Wenk: „Der Inszenierung gelingt es, die Buchvorlage auf ihre Kernaussage zu komprimieren. Der Zuschauer wird ohne lange Einleitung in eine Handlung katapultiert, die das Archaische und Animalische des Menschen zum Ausdruck bringt. Starke Darsteller, eine kraftvolle Choreographie, eindringliche Bilder eingebunden in ein Geschehen, das an Aktualität nichts verloren hat und das den Zuschauer nicht so schnell loslässt. Großes Theater!“