Bochum. . Das Wohn- und Geschäftshaus an der Herner Straße in Bochum ist weiterhin besetzt. Die Hausbesetzer haben nun ein „Nutzungskonzept“ vorgelegt.
So viel Spießigkeit darf sein. „Schuhe aus bitte“, prangt auf dem Zettel im zweiten Obergeschoss. Die Revoluzzer mögen’s reinlich, auch wenn links und rechts der Verfall seine schmutzig-staubigen Spuren hinterlassen hat. Bochum, Herner Straße 131: für die linke Szene eine Adresse mit fast schon historischer Symbolkraft.
Erstmals seit 17 Jahren ist in der Revierstadt wieder ein Haus besetzt. Legal, illegal, sch(...)egal: Im Stadtteil Hamme flattern die roten Fahnen aus knarrenden Fenstern.
Besetzung des Hauses beginnt vor drei Wochen
„Stadt für Alle“: Unter diesem Motto finden sich seit mehreren Monaten politisch engagierte Bochumer zusammen. Sie fordern „eine Stadt, in der alle Menschen unabhängig vom Einkommen gut wohnen und leben können. Wir wollen unser soziales und kulturelles Leben dabei selbstorganisiert in die Hand nehmen“. Vor drei Wochen ließen sie Taten folgen.
Nach einer Kundgebung besetzten 20 Aktivisten ein seit Jahren leerstehendes, viergeschossiges, denkmalgeschütztes Wohn- und Geschäftshaus direkt an der vielbefahrenen Herner Straße. Der Eigentümerin, so heißt es, seien die Kosten für die dringend notwendige Renovierung über den Kopf gewachsen. Am 22. Juni soll das Gebäude zum Verkehrswert von 181.000 Euro zwangsversteigert werden.
Aktivisten befürchten „Mietspekulanten“ und „Luxusanierung“
„Mietspekulanten“ und „Luxusanierung“ befürchten die Aktivisten. Dies in Zeiten, in denen bezahlbarer Wohnraum immer knapper werde. Mit der „Instandbesetzung“ wollen sie den Altbau für die Allgemeinheit nutzbar machen. Das Ladenlokal, ein ehemaliges Parkettstudio, wurde bereits notdürftig als Begegnungszentrum hergerichtet.
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Mit gebrauchten Sesseln, Ikea-Wohngarnituren und Mineralwasser für barmherzige 50 Cent. Regelmäßig finden hier Lesungen und Konzerte statt. Die sechs Wohnungen in den oberen Etagen sollen auch für Flüchtlinge bereitgestellt werden – „alles autonom und gemeinnützig bewirtschaftet und deutlich unterhalb des Mietspiegels“, so die Besetzer, die am Donnerstag – mit Mützen und Masken vermummt aus Angst vor Strafverfolgung und Neonazis – erstmals zu einer Pressekonferenz baten.
Besetzer erfahren breite Unterstützung
Schlagzeilen gab es seit dem 20. Mai schon reichlich. Die Solidaritätsadressen sind üppig. Vom Mieterverein (der seine Forderung nach einer Zweckentfremdungssatzung bekräftigt) über die Linke bis zu den „Tierbefreiern Bochum“ erfahren die Besetzer breite Unterstützung – darunter auch von Bochumern, die in den 80er Jahren an der denkwürdigen Besetzung des Heusner-Viertels beteiligt waren, wo zeitweise 40 Häuser vereinnahmt wurden. Eine Küchenzeile samt Kochplatte wurde gespendet.
Ebenso Matratzen für die Nacht und Lampen (die aufgelaufenen Stromkosten wollen die Bewohner beizeiten an die Stadtwerke zahlen). Ein Nachbar stiftet Leitungswasser aus seinem Garten. Doch ebenso vehement fällt die Kritik aus. WAZ-Leser wettern über „Kriminelle“, die sich fremden Eigentums bedienen, und fordern eine rasche Räumung.
Eigentürmerin hat Anzeige wegen Hausfriedensbruchs gestellt
Die ist weiterhin nicht in Sicht. Zwar hat die Eigentümerin Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs gestellt. Zwar verweigert sie sich Gesprächen mit den Besetzern. Gleichwohl belässt es die Polizei noch dabei, verstärkt Streife zu fahren. Wohl auch deshalb, weil sonst keine weiteren Straftaten im oder vor dem Haus bekannt sind und die Anwohner weitgehend positiv reagieren. „Manche sehen ja komisch aus. Aber sonst sind das sehr nette Leute. Und so höflich!“, meint Luise Wrobel (72) und sagt: „Ist doch schön, dass der olle Kasten wieder bewohnt ist.“
„Home sweet Home“ steht auf der Eingangstür
Die neuen Nachbarn wollen dauerhaft bleiben. „Home sweet Home“ haben sie auf die Eingangstür gepinselt. Aus der illegalen Aktion soll ein legales Bleiberecht werden. Dabei sehen sie die Stadt in der Pflicht. Die Besetzung sei ein „Symbol des Versagens“ der Verwaltung, die untätig zusehe, wie 7000 Wohnungen leerstehen.
Das „Nutzungskonzept“ sieht vor, dass die Stadt das Haus im Zuge der Zwangsversteigerung kauft und per Erbpachtvertrag den Besetzern überlässt. „Damit würde die Stadt ihrer sozialen Verantwortung für preisgünstigen Wohnraum nachkommen“, hieß es am Donnerstag. Im Rathaus bleibt der Vorstoß unkommentiert. „Wir beteiligen uns im Moment nicht an der öffentlichen Diskussion“, erklärt Sprecher Thomas Sprenger auf WAZ-Anfrage.
Herner Straße soll nur der Anfang sein
„Wir meinen es ernst. Wir wollen ein nachbarschaftliches Kollektiv verwirklichen. Dabei ist die Herner Straße nur der Anfang“, bekräftigt eine Besetzerin. Doch über allem schwebe die Angst vor einem rigiden Eingreifen der Polizei, die weiterhin offen lässt, ob und wann eine Räumung des Hauses erfolgt. Die Besetzer kündigten gestern an: „Wir werden das Haus nicht so einfach aufgeben.“ Man wolle aber wie „gewaltfrei bleiben“ und „keine militante Gegenwehr leisten“.
Erst recht nicht ohne Schuhe.