Bochum. . Vor dem Landgericht hat der Prozess gegen den „Uni-Vergewaltiger“ begonnen. Er soll sich an Studentinnen vergangen haben. Er schweigt dazu.

  • Vor dem Landgericht Bochum hat der Prozess gegen den mutmaßlichen "Uni-Vergewaltiger" begonnen
  • Dem 32-Jährigen wird vorgeworfen, sich an zwei Studentinnen besonders brutal vergangen zu haben
  • Zum Prozessauftakt am Donnerstag kündigte er an, keine Angaben zu machen – weder zur Person noch zur Sache

Schlanke Statur, Unterlippenbart, schwarzes, schütteres Haupthaar, blaues Sweatshirt, unsicherer Blick – so sieht der Mann aus, der wochenlang große Angst im Umkreis der Bochumer Universität verbreitet hatte. Zwei chinesische Studentinnen (22, 28) waren im August und November auf besonders brutale Weise vergewaltigt worden. Einfach von der Straße weg in ein Wäldchen gezerrt und dann schwer misshandelt. Zwei absolute Alptraum-Taten.

Oberstaatsanwalt Andreas Bachmann ist sicher, den Richtigen angeklagt zu haben. Zu erdrückend ist die Spurenlage. Aber der 32-jährige Angeklagte, ein Flüchtling aus dem Irak, macht vom Prozessrecht des Schweigens Gebrauch. Das heißt: Die Opfer müssen das entsetzliche Geschehen wohl noch einmal, bis ins Detail, in Zeitlupe, den Richtern und anderen Prozessbeteiligten schildern. Das wird aber erst an den nächsten Sitzungstagen der Fall sein. Eines der Opfer lebt inzwischen wieder in China und wird zum Prozess extra nach Bochum eingeflogen und am 2. Mai aussagen. Ihre Anwältin Dörte Ganzer zu dieser Zeitung: "Nach der Tat war sie schwer traumatisiert und völlig verängstigt. Sie hatte Todesangst."

Ermittlungsergebnisse seien sehr belastend

Richter Volker Talarowski sagt zum Schweigen des Angeklagten: "Aus unserer Sicht sollten Sie darüber aufgrund der bisherigen Ermittlungsergebnisse nochmal nachdenken." Diese seien "sehr belastend". Möglicherweise könne er wegen seines "Bildungsgrades" mit DNA-Spuren "nicht viel anfangen". Die gebe es aber eindeutig. Hinzu komme noch, dass bei der zweiten Tat sein Handy in unmittelbarer Nähe eingeloggt gewesen sei. "Im Moment spricht Erhebliches dafür, dass es zu einer Verurteilung kommen könnte." Und wenn er schweige, könne man das dann nicht strafmildernd werten. Das solle er wissen.

Los ging der Prozess zudem mit einer Überraschung: Der Angeklagte entzog seinem Rechtsanwalt Piotr Ziental das Mandat, übrig bleibt sein Pflichtverteidiger Egbert Schenkel.

Die beiden Taten im vergangenen Jahr

Am frühen Abend des 6. August geht eine heute 22 Jahre alte Studentin über die ländliche Straße „Auf dem Kalwes“. Die Uni ist nur wenige Gehminuten entfernt. Plötzlich taucht ein Täter auf und zieht sie von der Straße weg ins „Königsbuscher Wäldchen“. Laut Anklage legt er ihr einen mitgebrachten Strick um den Hals und zieht so stark zu, dass der Frau die Luft wegbleibt. Sie hat Todesangst. Mit einem Ast schlägt der Mann ihr auf den Kopf. Kurzzeitig wird sie bewusstlos. Dann vergewaltigt der Täter die wehrlose Frau.

Am 16. November um 16.45 Uhr schlägt derselbe Täter erneut zu, diesmal ein paar Kilometer weiter, aber wieder in Uni-Nähe. Auf der Überführung der Max-Imdahl-Straße über dem Hustadtring (Ecke Schinkelstraße) spricht er eine 28-jährige Chinesin an und zerrt sie in ein Gebüsch des Laerholzwäldchens ein paar Meter weiter. Dort würgt er sie laut Anklage, schlägt sie mit der Faust zu Boden, zieht ihr die Hose runter und vergeht sich an ihr schwer. Nachher stiehlt er ihr zehn Euro aus dem Portemonnaie.

In diesem Wäldchen an der Schinkelstraße/Max-Imdahl-Straße/Hustadtring wurde eines der Opfer vergewaltigt.
In diesem Wäldchen an der Schinkelstraße/Max-Imdahl-Straße/Hustadtring wurde eines der Opfer vergewaltigt. © Ingo Otto

Alte Assoziationen an das „Uni-Phantom“

Angeklagt sind nun außer besonders schwerer Vergewaltigung gefährliche Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Raub. Anfangs ging die Staatsanwaltschaft auch von versuchtem Mord aus, aber davon rückte sie dann ab, weil der Täter die Frau doch nicht getötet hat, obwohl er es wohl gekonnt hätte. „Rücktritt vom Versuch“, sagen die Juristen.

Erst Anfang Dezember wurde der Tatverdächtige gefasst. Bis dahin hatte der Fall vereinzelt alte, stark bedrückende Assoziationen hervorgerufen: War wieder ein Uni-Phantom unterwegs?

Vor vielen Jahren, zwischen 1994 und 2002, war ein Sex-Gangster über mindestens 22 Frauen hergefallen, ebenfalls vor allem in Uni-Nähe. Trotz fast beispiellos großem Aufwand konnte die Kripo ihn nie fassen. Und nun gab es wieder zwei ungeklärte Sexualverbrechen dort, noch dazu sehr massive.

„Unter meinen Freunden herrscht Angst“

Beide Tatkomplexe hatten zwar nichts miteinander zu tun, trotzdem kam große Verunsicherung auf, vor allem unter Studentinnen.

„Ich merke, dass ich auch häufiger erschrecke und mich umdrehe“, sagte eine 22-Jährige in Tatortnähe, wenige Tage nach der zweiten Vergewaltigung im Laerholzwäldchen. „Ich gehe sonst immer quer durch den Wald, das mache ich jetzt nicht mehr. Ich bin wütend, dass das hier passieren kann, dass ich mich nicht mehr sicher fühle.“ Und eine 27-jährige Studentin erklärte damals in Tatortnähe: „Unter meinen Freunden herrscht Angst.“

Die Polizei hatte zwar ein Phantombild veröffentlicht und 110 Hinweise aus der Bevölkerung erhalten, aber der entscheidende Tipp war lange nicht dabei – bis ein Handy-Foto auftauchte.

Der Freund des zweiten Opfers, ebenfalls Chinese, ging noch einmal den Heimweg ab, an dem seine Lebensgefährtin zwei Wochen zuvor vergewaltigt worden war. Dabei beobachtete er einen unbekannten Mann im Gebüsch. Geistesgegenwärtig fotografierte er ihn mit seinem Handy. Das Bild, das gute Qualität hatte, gab er der Kripo. Die Beamten klapperten damit mehrere Asylbewerberheime ab – und landeten einen Volltreffer. Sie fanden in einem Asylbewerberheim in der Nähe der Tatorte den Mann, dessen DNA-Spuren mit den Tatortspuren übereinstimmen. „Wir haben hier alle eine große Erleichterung gespürt“, sagte Polizeipräsidentin Kerstin Wittmeier nach der Festnahme.

Es drohen lange Haft und eine Abschiebung

Dem Angeklagten drohen viele Jahre Haft. Sollte er verurteilt werden, würde er wohl nach einem Teil der Strafe abgeschoben. Er kann weder schreiben noch lesen, sagt sein Verteidiger Egbert Schenkel.

Die 9. Strafkammer hat zunächst neun Verhandlungstage angesetzt – bis zum 17. Mai.