Bochum. . Häftlinge des Bochumer Gefängnisses mussten im Krieg Blindgänger entschärfen. Ohne fachliche Ausbildung. Viele kamen dabei grausam ums Leben.
- Heute werden Blindgänger von Profis entschärft - aber im Krieg musste dies Boichumer Häftlinge erledigen
- Einer von ihnen war der damalige politische Gefangene Werner Eggerath, später Ministerpräsident in Thüringen
- Der Bochumer Gefängnispfarrer Alfons Zimmer erinnert an ihn in einer aktuellen Ausstellung im Stadtarchiv
Alle paar Monate werden in Bochum Blindgänger aus dem 2. Weltkrieg entschärft. Heute erledigt das ein Profi. Im Krieg aber wurden Gefangene des Bochumer Gefängnisses dafür missbraucht. Einer war Werner Eggerath. „Sprengkommando bedeutete Himmelfahrtskommando. Schon mancher guter Freund war beim Ausgraben von Bomben zum Himmel gefahren.“
Das schrieb Eggerath (*1900; † 1977) in einem Buch, das er 1947 mit dem Titel „Nur ein Mensch“ veröffentlichte. Eggerath, später Ministerpräsident in Thüringen, hatte die Haft überlebt. Der heutige Seelsorger im Bochumer Gefängnis, Pastoralreferent Alfons Zimmer, der über die JVA in der Nazi-Zeit viel recherchiert hat, berichtet zum Beispiel von Einsätzen am Güterbahnhof Langendreer. „Dort erlebten sie Tragischstes.“ Die Häftlinge hatten die Bomben teils mit Händen ausgegraben. Ihre Kleidung war zum Gotterbarmen. Essen gab es kaum: „Nach wenigen Tagen wühlte der Hunger in unseren Eingeweiden“, so Eggerath.
„Tag für Tag gruben wir Bomben aus“
Der Kommunist (15 Jahre Haft, „Vorbereitung zum Hochverrat“) saß ab Januar 1945 in Bochum ein, vorher in Münster. „Tag für Tag gruben wir Bomben aus. Niemand von uns hatte je gesehen, wie man an eine Bombe heranging. Niemand kannte die Gefahrenpunkte und die Art der Zünder.“ Begleitet wurden sie von einem „Feuerwerker“, aber der gab nur „einige primitive Anweisungen“ und blieb im Hintergrund. Die Einsätze, teils in Fabriken, fanden „in Regen und Schnee“ statt, „bewacht von der Werkpolizei, die aus SA-Leuten bestand“.
Die Feuerwerker strichen sich ab einer gewissen Zahl herausgeschraubter Zünder das Eiserne Kreuz ein. „Doch das Entschärfen, das machte nicht der Feuerwerker, das machten fast ausschließlich die verachteten Gefangenen.“ In Bochum war wegen vieler Angriffe „verstärkter Einsatz notwendig“. Einen der Blindgänger schildert Eggerath so: „Ein Blick genügt: Aufschlagzünder. Ich setze mich rittlings auf die Bombe, öffne den Sprengring, drehe vorsichtig, mit ruhiger Hand Millimeter auf Millimeter den Zünder heraus.“
„Nach einer Viertelstunde war es aus mit ihm“
Er erzählt auch von dem Häftling Willi Kubier, auch er politischer Gefangener. „Willi grub Bomben aus und wurde ein Meister in diesem Fach. Über 650 Bomben holte er unter dauernder Lebensgefahr heraus und machte sie unschädlich, und dann – ging er hoch. Eine Bombe zerriß ihn. Nach seinem Tod wurde er begnadigt und bekam das Eiserne Kreuz für Tapferkeit.“
Eggerath schildert auch einen Einsatz des politischen Häftlings Karl Rostek aus Bochum, 1944 in einem Werk in Gelsenkirchen. „Karl Rostek stand zum erstenmal auf einem Blindgänger. Nach einer Viertelstunde war es aus mit ihm.“ 23 weitere Männer starben dabei. Ein Gedenk-„Stolperstein“ für Rostek liegt heute an der Bessemer Straße 19. Dort hatte er gewohnt.
Auch Pfarrer Josef Reuland, der in Bochum als politischer Gefangener einsaß, musste Bomben entschärfen: „Viele haben dabei ihr Leben verloren“, schrieb er später.
Gefängnispfarrer Alfons Zimmer hat die Ausstellung „Schicksalsort Gefängnis. Opfer der NS-Justiz in der Krümmede“ im Stadtarchiv konzipiert. Am 10. November hält dort Richter Dirk Frenking einen Vortrag über Justiz im NS und die verspätete strafrechtliche Aufarbeitung.