Bochum. Das Modellprojekt in Alsdorf wird in Bochum kontrovers diskutiert. Einige Schulleiter fänden die Einführung grundsätzlich in Ordnung.

Für Kester ist die Sache klar. „Wenn ich das selbst entscheiden dürfte, würde ich natürlich länger zu Hause bleiben.“ Darf der 15-Jährige aber nicht. Er besucht erst die 9. Klasse des Schiller-Gymnasiums und dort gibt es außerdem eben nicht ein Pilotprojekt für die Oberstufe, in den Tag zu gleiten, also dann bis spätestens zu zweiten Stunde zur Schule zu kommen. Das Pilotprojekt läuft an einem Gymnasium in Alsdorf bei Aachen (siehe unten) – und da sind alle begeistert.

Grundsätzlich gut finden die Idee auch die Elftklässler Leon Caspari, Laura Wolter und Sam Kurzawa des Schiller-Gymnasiums. „Das ist eine prima Vorbereitung auf ein späteres Studium“, sagt Leon. „Da muss ich dann auch eigenverantwortlich arbeiten.“ Sam glaubt, dass die Freiarbeit in der Schule „dann durchaus zielgerichteter wäre“. Laura fände es sehr gut, „eine gewisse Freiheit bei der Gestaltung der Schularbeit zu haben“.

Schulleiter sind skeptisch

Bei den Schulleitern der Gymnasien in Bochum kommt die Gleitzeit-Idee nicht so gut an, sie stehen dem Projekt eher skeptisch gegenüber. An der Hildegardis-Schule befasst man sich laut Schulleiter Werner Backhaus „aktuell nicht mit der Thematik, zumal sich dabei mehrere schulrechtliche Fragen auftun würden“.

Eckhard Buda, Schulleiter des Heinrich-von-Kleist-Gymnasiums, hält die Gleitzeit in der Schule im Rahmen von Rhythmisierung der Unterrichtszeit für ein wünschenswertes Zukunftsmodell „und aus lernpsychologischen Gründen für Lernende und Lehrende äußerst attraktiv“. Zurzeit findet er die schulorganisatorische Umsetzung zu schwierig.

Oliver Bauer, Leiter des Neuen Gymnasiums, verweist darauf, dass der Unterricht an seiner Schule um 8.15 Uhr mit der ersten Stunde startet. „Der etwas spätere Unterrichtsbeginn ist für den Biorhythmus sicherlich zuträglich.“ Ein Gleitzeitprojekt ohne Qualitätsverlust kann er sich aber nicht vorstellen.

"Nicht alles Gold was glänzt"

Ebenso wenig Bernhard Arens, Schulleiter des Theodor-Körner-Gymnasiums. „Bei uns findet Oberstufenunterricht bis zur 10. Stunde statt. Im Falle einer weiteren Individualisierung des Stundenplans wird die Arbeitszeit für die Schüler nicht besser werden. Gerade vor dem Hintergrund der aktuell erfolgten Optimierung von G8 sollten Stundenpläne nicht weiter ausgeweitet werden.“ Zudem habe er die Erfahrung gemacht, „dass der Wunsch der Eltern und Schüler zu einem frühen Unterrichtsbeginn tendiert, um den Nachmittagsbereich möglichst frei zu halten. Das ist schwierig genug, mit Blick auf einen späteren Unterrichtsbeginn aus meiner Sicht nicht möglich“.

Klare Worte findet auch Hans-Georg Rinke, Leiter des Schiller-Gymnasiums. „Auch wir fangen schon viele Jahre um 8.15 Uhr an. Ich war in Alsdorf, habe mir das angeguckt. Das ist wie bei so vielen Dingen: es ist nicht alles Gold was glänzt. Ich weiß nicht, ob ich damit das Ziel erreiche, Schüler zu selbstständigem Lernen zu erziehen. Es kann eine gute Vorbereitung auf das Studium sein. Für alle anderen ist es eine Erlaubnis zum faul sein. Außerdem: Jeder hat im Verlauf des Tages ein Leistungstief. Da muss man mit lernen umzugehen.“

Modellversuch läuft in Alsdorf 

Auch am Städtischen Gymnasium in Alsdorf klingelt um acht Uhr morgens die Schulglocke. Der Schulstart ist aber nicht für alle Kinder so früh. Wer lieber länger in den Federn bleibt, kann das tun und erst um 8.50 Uhr kommen – sofern er schon die Oberstufe besucht. Seit dem 1. Februar schlafen 115 der 250 Oberstufenschüler im Dienste der Wissenschaft aus und dokumentieren ihre Schlafdauer, wie sie genächtigt haben und ob sie mit einem Wecker aufgewacht sind.

Die 115 Schüler sind die ersten überhaupt, die an einer solchen Studie in Deutschland teilnehmen. Wissenschaftlich begleitet wird das Modellprojekt von der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Team um den Chronobiologen Till Roenneberg. Er will wissen, was passiert, wenn man den Unterrichtsstart nach hinten verlegt. Denn – so die Vermutung aus anderen Studien: Wer zur falschen Zeit aufsteht, hat auch schlechtere Schulnoten.

Umsetzung des Dalton-Konzepts

Was man bereits weiß: Viele Schüler sind eigentlich im Tiefschlaf, wenn sie aufgeweckt im Klassenzimmer sitzen sollen. In den ersten Schulstunden fallen einige von ihnen darum immer wieder in einen Mikroschlaf, in dem das Hirn kurzzeitig in den Offline-Modus stellt.

„Professor Roenneberg erklärte uns, dass wir durch einen Schulstart um acht Uhr die Schüler um ein Drittel ihrer Lernfähigkeit berauben“, sagt der Schulleiter Wilfried Bock. „Überspitzt gesagt: Wir halten die Jugendlichen durch das Wecken vom Behalten ab.“

Möglich ist das flexible Arbeiten nur, weil an dem Gymnasium das Unterrichtskonzept nach Dalton umgesetzt wird. Es sieht neben dem üblichem Pensum täglich zwei Freiarbeitsstunden vor, in denen die Schüler ihren Unterricht selbst bestimmen können, also in welchen Räumen und mit welchen Lehrern sie arbeiten wollen. So sollen sie zu einer größeren Eigenverantwortlichkeit angeregt werden. Wer also länger schlafen will, kann den Stoff in einer Dalton-Stunde nachholen. Schulschluss ist somit auch für die Studienteilnehmer um 15.15 Uhr.