Bochum. . Nach der Flucht eines Angeklagten aus dem Gericht mussten die verblieben sechs Angeklagten mit Fußfessel am Prozess teilnehmen. Das löste Protest aus.
Der Prozess gegen die mutmaßliche Einbrecherbande aus Georgien läuft schon seit fast einem Jahr am Landgericht. Er ist zäh, anstrengend und für die Staatskasse unerhört teuer. Die Flucht eines der Angeklagten (24), dem mutmaßlichen Chef der Bande, vor zwei Wochen aus dem Landgericht hat die Situation noch weiter belastet. Denn alle sechs verbliebenen Angeklagten (U-Haft) wurden am Dienstag mit stählernen Fußfesseln in den Verhandlungssaal geführt; das hat die 9. Strafkammer in „sitzungspolizeilichen Maßnahmen“ so angeordnet. Auch während der Hauptverhandlung sollten sie sie tragen müssen. Doch das wollen sich einige Verteidiger nicht bieten lassen. Der Vorwurf der Sippenhaft steht im Raum.
Verteidiger Henry Alternberg sprach von einem „intensiven Grundrechtseingriff“. Das gehe schon „in Richtung Artikel 1“; womit er die Unantastbarkeit der Menschenwürde meinte. Ein anderer Rechtsanwalt warf dem Gericht außerdem eine „Stigmatisierung“ der Angeklagten vor. Insgesamt drei Verteidiger beschwerten sich, dass wegen der Flucht eines einzelnen nun die anderen Angeklagten dafür Konsequenzen in Kauf nehmen müssen.
Auf der Flucht vor der Polizei ins dunkle Wasser gesprungen
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Und so kam es, dass die 9. Strafkammer – ein extrem seltener Vorgang – einen Justizwachtmeister (40) in den Zeugenstand rief. Er sollte sagen, ob es machbar sei, die Angeklagten während der Hauptverhandlung von ihren Fesseln zu befreien. „Aus meiner Sicht nicht durchführbar“, lautete spontan die Antwort. Dafür seien drei Wachtmeister pro Angeklagter nötig, allein schon „aus Eigenschutz“.
Am Diehnstag waren insgesamt 14 Wachtmeisterinnen und Wachtmeister im Saal C 240. Das hätte dann nach Maßgabe der Zeugenaussage nicht ausgereicht.
Darüber hinaus beklagte sich ein Verteidiger, dass sein Mandant Schmerzen am Knöchel habe, weil die Fessel wohl zu eng angelegt sei. Dazu der Zeuge: „Wir können gerne nachschauen. Ich fürchte aber, dass das nicht der Fall ist.“
Richter Volker Talarowski verteidigte die Fußfessel-Order unter anderem mit dem Hinweis, dass die Gefahr eines weiteren Fluchtversuchs durchaus vorhanden sei. Schließlich hätten einige Angeklagte früher auf der Flucht vor der Polizei nicht mal vor einem Sprung in dunkle Gewässer zurückgeschreckt und sich vor Warnschüssen nicht beeindrucken lassen.
Geflüchteter verhielt sich im Prozess vor der Flucht wie ein „Musterknabe“
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Der Geflüchtete Levan K. hat während der Hauptverhandlung, die sich nun schon über fast 40 Sitzungstage hinzieht, stets als „Musterknabe“ verhalten, wie es gestern im Gericht hieß. Trotzdem hat er es geschafft, zwei Wachtmeister zu überwältigen und ihnen blitzschnell zu entkommen.
Wegen der Anwalt-Beschwerden musste sich die Kammer am Dienstag mehrfach zurückziehen, um zu beraten. Am Ende entschied sie, dass die Angeklagten für diesen einzelnen Verhandlungstag die Fußfesseln noch tragen müssen, am nächsten Prozesstag würden sie im Sitzungssaal aber davon befreit.
Auch dagegen beschwerte sich ein Verteidiger, weil er die Fesseln sofort verbannt haben wollte.