Bochum. . Die Anfahrtszeiten zu den Brandeinsatzorten dauern häufig viel länger als es in den eigenen Vorgaben steht. Gewerkschaft spricht von „Verschleierungstaktik“ der Branddirektion

„Wir sind eine der langsamsten Feuerwehren in NRW.“ Das sagte Frank Oldach, Leiter der Fachgruppe Feuerwehr in der Gewerkschaft Verdi, auf Anfrage über die Anfahrtzeiten der Löschzüge. Gerade in Außenbereichen wie Linden, Dahlhausen, Stiepel, Querenburg und Teile des Nordens gebe es „extreme Defizite“. Dort brauche die Feuerwehr zwei bis drei Minuten länger als im eigenen „Brandschutzbedarfsplan“ vorgegeben.

Darin wird das Ziel ausgegeben, dass bei „kritischen Brandeinsätzen“ 16 Einsatzkräfte in spätestens zehn Minuten am Brandort sein sollen, jedenfalls in 80 Prozent der Fälle. In den genannten Außenbezirken habe aber kein einziger Brandeinsatz diese Norm erfüllt, beklagt Verdi. „In der Realität kann man froh sein, wenn in diesem Zeitraum gerade einmal zehn Einsatzkräfte vor Ort sind“, kritisiert Verdi-Sekretär Thorsten Knüppel. Er wirft der Feuerwehrführung „eine dreiste Irreführung der Politik“ und „Verschleierungstaktik“ vor. Damit bezieht er sich auf aktuelle Angaben der Branddirektion zur Dauer der Anfahrtszeiten. Die sollen nicht der Wirklichkeit im Alltag entsprechen.

Zuletzt mehrfach längere Anfahrtzeit zum Einsatzort

Nach WAZ-Informationen gab es zuletzt tatsächlich Fälle, in denen die Feuerwehr bzw. ihr Rettungsdienst auffallend lange zum Einsatzort brauchte. Bei einem Dachstuhlbrand in der Innenstadt war die Feuerwehr komplett erst nach 13 Minuten an Ort und Stelle. Und bei einem Unfall in Bergen brauchten die Einsatzkräfte 16 Minuten. Und bei einer Herzattacke in Linden, wegen der der Patient reanimiert werden sollte, war der Rettungswagen erst nach zwölf und der Notarzt nach 17 Minuten vor Ort. Die Situation wird dadurch verschärft, dass viele Brandbekämpfer in den Dienstplänen auch im Rettungseinsatz für medizinische Notfälle eingesetzt sind und deshalb ausfallen.

Udo Lipp, seit fast 30 Jahren Feuerwehrmann in Bochum und Sprecher der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeugG), sieht das Kernproblem in der Reduzierung von fünf Brandwachen in den 90er Jahren auf heute nur noch drei (Wattenscheid, Bessemer Straße, Werne). Diese Punkte lägen auf einer Achse und somit nicht mehr verteilt genug. „Im Brandschutz rühren die Probleme daher, dass die erforderliche Personalstärke am Einsatzort erst mit dem Eintreffen eines Löschfahrzeuges der Nachbarwache erreicht wird. Daraus ergibt sich das verspätete Eintreffen.“ Und in den Außenbezirken sei die Freiwillige Feuerwehr „nicht in der Lage, die Lücken zu schließen“.

Vorgaben in 41 Prozent der Fälle nicht erfüllt

Die Feuerwehrleitung sieht die Lage positiver. Zwar weiß sie, dass sie nicht alle Vorgaben bei Brandeinsätzen erfüllt, bei der Hauptwache sogar in 41 Prozent der Fälle nicht. Vize-Feuerwehr-Chef Gottfried Wingler-Scholz sagte gestern aber auf Anfrage, dass er nicht einen einzigen Fall kenne, in dem jemand wegen verspäteter Anfahrtszeiten zu Schaden gekommen sei.

Nicht alle ziehen an einem Strang - Ein Kommentar von Bernd Kiesewetter 

In der Belegschaft der Feuerwehr scheint es in Teilen zu rumoren. Die Männer sind zwar im Grunde nicht unzufrieden; schließlich haben sie einen abwechslungsreichen, sehr befriedigenden und hochangesehenen Beruf. Aber sie beklagen deutlich einen Personalmangel, der die Stimmung nun schon seit längerer Zeit zu belasten droht.

Wenn es brennt, können nur Sekunden über Tod oder Leben entscheiden. Oder darüber, ob ein Haus noch gerettet werden kann oder nicht. Der gleiche Sekundendruck gilt für rein medizinische Notfälle. Deshalb ist es hier schwer vermittelbar, wenn für so elementar wichtige Belange nicht genug Personal da sein sollte. Soll man den Opfern eines Schadensfalls bzw. den Angehörigen eines Verstorbenen sagen: Sorry, tut uns leid, wir konnten nicht früher kommen, heute war so viel los?

Ständig rund um die Uhr im Dienst auf den Wachen sind offiziell 80 Leute. Inoffiziell sollen es aber deutlich weniger sein. Diese Unklarheit zeigt, dass nicht alle bei der Feuerwehr an einem Strang ziehen.