Bochum. Künftig werden mehrere städtische Tochterfirmen für eine strategische Wirtschaftsentwicklung arbeiten. Ein Schwerpunkt: Ausgründung aus Universitäten.
Vor einem Jahr hat Ralf Meyer die Aufgabe des obersten Wirtschaftsförderers der Stadt übernommen. Der Betriebswirt soll die wirtschaftliche Entwicklung Bochums maßgeblich vorantreiben. Als Mitglied im Verwaltungsvorstand der Stadt ist er nah dran an den Entscheidungswegen der Politik. WAZ-Redakteur Andreas Rorowski hat mit dem 54-Jährigen über seine Arbeit in den vergangenen zwölf Monaten und die anstehenden Herausforderungen gesprochen. Eines seiner Ziele: Bochum soll Talentschuppen der Nation werden.
Herr Meyer, wie sieht Ihre persönliche Bilanz nach dem ersten Jahr in Bochum aus?
Ralf Meyer: Als erstes galt es, Baustellen zu bearbeiten, die ich hier vorgefunden habe. Die Strukturen der wirtschaftsfördernden Gesellschaften waren optimierungsbedürftig. Wir haben die Bochumer Veranstaltungsgesellschaft verschlankt und werden jetzt auch die EGR und die Holding verschmelzen. Es ist geplant, eine Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft aufzubauen.
Hat sich auch etwas in der Außenwirkung verändert?
Meyer: Nach außen hat sicherlich geklappt, dass bei den Unternehmen angekommen ist, dass wir eine vertriebsorientierte Wirtschaftsförderung betreiben wollen. Wir hatten unter anderem seit Jahren nicht mehr so viele Anmeldungen für unseren Gründungswettbewerb und sind dabei, zusammen mit der Universität das Thema Gründungsbetreuung zusammen zu gestalten. Ein Schwerpunkt der Wirtschaftsförderung wird zukünftig die Ausgründung aus Universitäten sein.
Gibt es noch weitere Beispiele?
Meyer: Lange Zeit hat man sich gegen Logistik auf dem Opel-Gelände gewehrt. Wir haben dafür gesorgt, dass es ein anderes Verständnis gibt – auch in der Politik. Zumal es in Bochum schon Logistik gibt, man muss diese Branche nur differenzierter betrachten (Anm. d. Redaktion: Nach einer Analyse der Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr gehen in Bochum derzeit 12828 Menschen als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte logistischen Tätigkeiten nach). Logistik wird auch künftig ein wichtiger Arbeitgeber für Bochum und das Ruhrgebiet sein. Ein ganz wichtiges Thema, wo wir vorangekommen sind, ist das Einkaufszentrum Viktoriastraße. Die HBB hat sowohl das Grundstück Justizblock als auch ein Teilgrundstück im Telekom-Block gekauft; also als Investor klar signalisiert, man steht zu dem Standort.
Wird es eine Lösung um das EGR-Gebäude herum geben oder wird es Teil dieser Entwicklung des Stadtquartiers Viktoriastraße sein?
Meyer: Die Planungen gehen davon aus, dass das EGR-Gebäude erhalten bleibt. Bislang gab es einzelne Themen, die man wie Inseln betrachtet hat: Entwicklung Stadtquartier Viktoriastraße, BVZ, Einzelhandel in der Innenstadt, Dr.-Ruer-Platz, die Markthallenidee. Man ist in diesem Jahr davon weggekommen, diese als Einzelprojekte zu sehen. Die Wirtschaftsförderung und die Stadtplanung wollen künftig an einem Strang ziehen, um die Innenstadt zukunftsfähig zu gestalten.
Statt einer Wirtschaftsförderungs-Holding stehen Sie demnächst gemeinsam mit Prof. Heyer der „WirtschaftsEntwicklungsGesellschaft Bochum mbH“ vor. Ein neues Etikett für die gleichen Aufgaben oder etwas ganz anderes? Warum diese Änderung?
Meyer: Es geht um die Außendarstellung. Wir haben unterschiedliche Gesellschaften: EGR, Wirtschaftsförderung, Wirtschaftsförderung-Holding usw. Zukünftig agieren wir alle mit der Firmierung Wirtschaftsentwicklung. Damit soll deutlich werden: Alle Firmen arbeiten für eine strategische Wirtschaftsentwicklung in Bochum. Eine weitere Verbesserung ist die Möglichkeit der Holding und der Wirtschaftsförderung, als Unternehmer aufzutreten. Somit kann die Wirtschaftsförderung neben dem Zuschuss der Stadt ihr Budget über Eigenfinanzierung aufstocken. Eine Wirtschaftsförderung wird niemals kostendeckend arbeiten. Das neue Konstrukt kann es uns ermöglichen, den Haushalt der Stadt langfristig zu entlasten. Personalkosten und Projektkosten sollten immer in einem gesunden Verhältnis zueinander stehen.
Projektbudget und Fixkosten, sagen Sie, müssen in einem gesunden Verhältnis zueinander stehen. Heißt das: ein Drittel zu zwei Drittel?
Meyer: Da kommt im Moment der Realität nahe. Aber mein Bestreben ist 60:40 (Anm. der Red.: Zur Zeit stellt die Stadt der Wirtschaftsentwicklung jährlich sechs Millionen Euro zur Verfügung). Wir sind keine Beschäftigungsgesellschaft, sondern müssen zusehen, dass wir den Zuschuss möglichst gering halten, uns möglichst effizient aufstellen und eher den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen.
Bochum zu adressieren, haben Sie gesagt, sei wichtig für die Entwicklung der Stadt. Welche Adresse ist oder hat Bochum in der Republik?
Meyer: Unserer Ressource ist das Wissen. Wir haben mit dem Kampagnen-Motiv „Tief im Wissen“ einen Anfang gemacht. Es wird jetzt weitere Schritte in der Kampagne unter der Marke Bochum geben, bei denen es darum geht, wie aus Wissen auch wirtschaftliche Wertschöpfung werden kann.
Sie sagen, Schwerpunkt der Wirtschaftsförderung soll die Ausgründung aus Universitäten sein. Bislang ist die Ruhr-Uni bei diesem Thema nicht unter den besten 30 Unis in Deutschland. Wäre ein Beteiligungsfonds, den sie an ihrer alten Arbeitsstätte in Hannover entwickelt haben, ein gutes Instrument, um dieses Problem zu lösen?
Meyer: Ja, das wäre ein wesentlicher Schritt, um vorwärts zu kommen. Die Wirtschaftsförderungen nehmen sich oft zu Herzen, sie müssten moderieren und Gründer und Geldgeber zusammenbringen. Ich sage: Das reicht nicht. Wir müssen selber in der Lage sein, den ersten Euro auf den Tisch zu legen. Dann finden sich auch andere Investoren, die sagen, ich vertraue auf dieses Projekt Gründung und investiere Geld. So bekommen wir eine Hebelwirkung, die sich auf die gesamte Gründungskultur auswirken kann.
Wann gibt es den Bochumer Beteiligungsfonds?
Meyer: Wir wollen keine reine Bochumer Lösung, sondern eine für das gesamte Ruhrgebiet. Sitz der Geschäftsstelle soll aber in Bochum sein. Wir werden den Fonds nicht ohne Förderung gestalten können. Eine wichtige Voraussetzung ist der Nachweis eines Marktversagens. Wir haben eine entsprechende Studie auf den Weg gebracht, die dieses belegen wird und gehen davon, einen solchen Fonds im Frühjahr hinzukriegen.
Wie sähe das aus?
Meyer: Es ist geplant, einen Fonds in Höhe von 30 Millionen Euro aufzulegen. 50 Prozent der Mittel dafür wären Fördergelder. Den Rest würden wir mit Partnern wie Banken, Unternehmen und anderen Investoren stemmen.
Ärgerliche Situation auf dem Opel-Gelände
In wenigen Tagen jährt sich zum ersten Mal das Ende der Autoproduktion von Opel in Bochum. Wie bewerten Sie es, dass nach der Beschwerde eines Unternehmens die Vergabe der Abrissarbeiten für den ersten Bauabschnitt in Werk I nun erst im März 2016 gerichtlich geklärt werden muss? Der Abriss ist mindestens neun Monate in Verzug.
Meyer: Das ist eine wirklich sehr ärgerliche Situation für uns und eine, die uns vor echte Herausforderungen stellt. Wenn sich Unternehmen an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen, können sie ohne finanzielles Risiko den Beschwerdeweg gehen. Das haben zwei Unternehmen getan. Aus meiner Sicht müsste das Unternehmen einen prozentualen Anteil des Risikos tragen, wenn es diesen Beschwerdeweg geht. Wir als vergebende Stelle tragen das volle Risiko, der Beschwerdeführer nicht.
Lässt sich das Verfahren denn beschleunigen?
Meyer: Wir können zur Beschleunigung des Verfahrens nichts mehr beitragen. Das Verfahren liegt jetzt in den Händen des Oberlandesgerichtes Düsseldorf.
Bald ist Weihnachten. Welche drei Wünsche hat der Wirtschaftsförderer Ralf Meyer?
Meyer: Ich würde mir wünschen dass der frische Wind, der mit dem neuen OB, dem neuen Stadtbaurat und der Neubesetzung in vielen anderen Bereichen gekommen ist, so bleibt und diese Entwicklung anhält. Der zweite Wunsch ist, dass durch diesen Anspruch, aus Wissen wirtschaftliche Wertschöpfung zu machen, Bochum Vorbild wird wie man Strukturwandel im Revier tatsächlich hin kriegt und die Stadt der Talentschuppen der Nation wird. Und der dritte Wunsch ist, dass meine Faszination für Bochum auch nach meinem ersten Jahr im Ruhrgebiet anhält. Aber der wird in jedem Fall in Erfüllung gehen.