Bochum. . Der 19-jährige Patrick ist seit über einem Jahr ohne Dach über dem Kopf. Er berichtet vom Alltag auf der Straße und der Zuflucht im „Schlaf am Zug“.
„Oh no, not you again!“, teilt der Schriftzug auf der schwarzen Fußmatte dem Besucher an der Eingangstür mit – Nicht du schon wieder. Dieser Spruch entwickelt vor dem kleinen Flachbau an der Castroper Straße seine ganz eigene Ironie. Kehren doch viele Bochumer Straßenkinder bewusst immer wieder an diesen Ort zurück – zur Notschlafstelle „Schlaf am Zug“.
Hier finden Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren einen Schlafplatz für die Nacht, eine warme Mahlzeit, die Möglichkeit zu duschen und zu waschen, oder einfach jemanden zum Reden. Einer, der regelmäßig kommt, ist der 19-jährige Patrick. Er möchte anonym bleiben, aber über sein Leben auf der Straße berichten.
Leicht in sich gekehrt wirkt der große und schmächtige Heranwachsende, es fällt ihm nicht leicht, seine Geschichte zu erzählen. „Seit über einem Jahr bin ich obdachlos“ beginnt Patrick. Familiäre Schwierigkeiten führten dazu, dass der junge Mann aus Bielefeld sein Elternhaus verließ, sein Abitur und den Kontakt zu fast allen Freunden abbrach. Hinzu kamen Drogenprobleme. „Am Ende ist alles zusammengekracht“, sagt Patrick. Nach Hause könne er nicht zurück, das sei keine Option.
Entzug führte nach Bochum
Durch eine Entzugstherapie in Castrop-Rauxel kam er schließlich nach Bochum. Von harten Drogen sei er inzwischen weg. „Die Therapie hat mir den Arsch gerettet“, ist er sicher. In der Notschlafstelle ist der Konsum strikt verboten. Wenn Patrick und die anderen Jugendlichen aber um 9 Uhr morgens ihren Zufluchtsort verlassen müssen, gehören weiche Drogen wie Cannabis noch immer zu seinem Alltag. „Nach dem Gang zur Bahnhofmission für ein zweites Frühstück schaue ich ab und zu beim Postfach für Obdachlose am Westring vorbei“, berichtet Patrick. Gelegentlich liege dort mal ein Brief von der Polizei mit einer Anzeige – Konsum von Betäubungsmitteln oder Diebstahl. Geld gebe er aber nicht nur für Drogen aus, sondern auch für „schöne Dinge“, sagt Patrick. Schön ist für ihn beim täglichen Kampf gegen den Hunger bereits ein Döner, eine Cola, die er zu sich nimmt, wenn er die Tage in der Innenstadt verbringt. Allein ist Patrick selten. In der Regel ist er mit seiner Clique unterwegs, hat eine feste Freundin. „Gewalt und Streit auf der Straße gehe ich so gut es geht aus dem Weg“, sagt er und ist am Ende des Tages froh, wenn er in die Notschlafstelle zurückzukehren kann.
Das ist beim begrenzten Angebot von acht Schlafplätzen aber nicht immer möglich. Die Volljährigen, die abends zu spät kommen, um sich für die Nacht anzumelden, müssen sich schlimmstenfalls anderweitig umschauen. „Ich schlafe dann bei einem Freund, in einer anderen Unterkunft in Bochum, Essen oder Dortmund oder zur Not draußen“, erzählt Patrick. Er ist froh, dass ihm “Schlaf am Zug“ mehrmals in der Woche ein Dach über dem Kopf bietet und genießt das gemeinsame Kochen und die Unterhaltungen in der Gruppe. „Hier ist es schön, aber es ist kein Zuhause“, sagt er jedoch bestimmt.
Mit kleinen Schritten zurück ins Leben
„Ich würde gerne in eine eigene Wohnung ziehen, mein Abitur nachholen und arbeiten, vielleicht im Sozialen Bereich“, so stellt es sich der 19-Jährige vor. Was ihn davon abhalte, diesen Weg zu gehen, seien oftmals Kleinigkeiten, gerade im Umgang mit Behörden. So möchte Patrick beispielsweise erstmal finanzielle Unterstützung beantragen, um auf legalem Weg an Geld zu kommen. „Dann fehlt aber hier wieder ein Zettel und in der nächsten Woche etwas anderes, obwohl man mir beim Amt gesagt hat, alles ist vollständig.“
Für den jungen Mann in seiner Situation eine frustrierende Erfahrung. Patrick hofft, dass er mit kleinen Schritten in ein geregeltes Leben zurück findet. Bis es soweit ist, wird er abends wohl weiterhin den Weg zur Notschlafstelle antreten.
Übernachtung und Zeit für Gespräche in der Notschlafstelle
In der Notschlafstelle „Schlaf am Zug“ an der Castroper Straße 1 a übernachten pro Monat bis zu 45 Jugendliche. „Meist ist es aber ein fester Stamm, der zu uns kommt“, berichtet Sophia Cojaniz. Die Sozialpädagogin kümmert sich mit ihrer Kollegin Linda Landmesser und der Gruppenleitung Janine Düding um die Betreuung der Jugendlichen, so besteh auch tagsüber mal Raum für Gespräche. „Oft geht es um Drogen, aber auch um soziale Probleme, Kälte, Hunger.“ Primär sei „Schlaf am Zug“ aber eine Unterkunft. „Wir sind keine Psychologen und können im Zweifelsfall nur an entsprechende Einrichtungen weitervermitteln“, sagt Cojaniz.
Nachts passen studentische Hilfskräfte in Zweierteams auf die Jugendlichen auf, die sich bis Mitternacht für einen Schlafplatz melden können. „Neben den acht Schlafplätzen gibt es ein Notfallbett für Minderjährige“, sagt Landmesser. Ohne eine alternative Schlafmöglichkeit bei einem Kooperationspartner zu organisieren, möchten die Betreuer die Jugendlichen nicht wegschicken. Bei Volljährigen könne das passieren – dieses Jahr in 70 Fällen. „Es ist die schlimmste Aufgabe, jemanden wegschicken zu müssen. Daran gewöhnt man sich nicht“, sagt Sophia Cojaniz.
Dennoch sei das System gut organisiert. „Schlaf am Zug“ könne den jungen Obdachlosen eine Grundversorgung bieten. Finanziert wird die Einrichtung der Ev. Stiftung Overdyck Stiftung vom Jugendamt der Stadt. Das Nötigste werde bereitgestellt, aber es fehle häufig am kleinen „Luxus“ des Alltags – Deo, Zahnbürsten oder Haarspray. „Wir sind in starkem Maße auf Spenden angewiesen“, so Linda Landmesser. Weitere Infos auf der Homepage, per Mail oder unter der Rufnummer 0234 / 904 1982.