Bochum. Über 37 000 Bochumer sind überschuldet. Wer Hilfe sucht und eine Privatinsolvenz einleiten will, muss lange Wartezeiten in Kauf nehmen: Die Schuldnerberatungsstellen sind überlastet.
In dieser Woche rief eine Mieterin an. Sie weinte bitterlich. Mitte Februar muss sie ihre Wohnung verlassen. Räumungsklage. Petra Kerlin fühlte mich - und sich einmal mehr bestätigt. „Die Menschen kommen nicht um fünf vor zwölf“, beobachtet die Schuldnerberaterin. „Sie kommen um viertel nach drei.“
Über 37 000 Bochumer sind laut „Creditreform“ überschuldet. „Ihre zu leistenden monatlichen Gesamtausgaben sind höher als ihre Einnahmen“, lautet die offizielle Definition. Heißt: Nichts geht mehr. Oder wie es eine Mutter neulich im Gespräch mit Petra Kerlin ausdrückte: „Ich kann machen was ich will: Spätestens am 20. ist kein Geld mehr da.“
Seit 14 Jahren kümmert sich die Diplom-Sozialarbeiterin bei der Caritas um Hartz-IV-Empfänger und Rentner mit Grundsicherung, denen die Schulden über den Kopf gewachsen sind. Arbeitslosigkeit, Scheidung, Krankheit: Damit fängt das Elend meistens an. „Nur die wenigsten, die zu uns kommen, haben auf Teufel komm raus konsumiert“, weiß Petra Kerlin. „Bei den allermeisten hat es mit dem Budget halbwegs gepasst.“ Bis das Leben eine bittere Wendung nahm.
Bankkredite und Kauf auf Pump helfen anfangs, sich über Wasser zu halten. Doch das Finanzgerüst ist arg wackelig – und bricht bei einer Stromnachzahlung oder einem kaputten Herd fix zusammen. Es ist just die Phase, in der viele Betroffenen den schwerwiegendsten Fehler machen. Sie suchen keine Hilfe, sondern tauchen ab. Verzweifeln. Resignieren. Briefe bleiben ungeöffnet. Mahnungen werden ignoriert. Die Uhr tickt – und zeigt irgendwann viertel nach drei an.
Petra Kerlin und ihre Kolleginnen Ingrid Meiswinkel-Koch und Susanne Höner-Penzek vom Sozialdienst katholischer Frauen und Männer (SKFM) können allenfalls die Spitze des Schuldenbergs abtragen. Jährlich 120 Langzeitberatungen schultert Petra Kerlin, 360 Fälle betreuen die SKFM-Juristinnen. Beide Beratungsstellen sind überlastet. Petra Kerlin hat einen Aufnahmestopp verhängt. Bei Notfällen macht sie eine Ausnahme.
Erster Schritt ist in der Regel eine Bescheinigung für ein P-Konto: ein Pfändungsschutzkonto mit garantierten Freibeträgen. Es verschafft die Luft zum Atmen, um mit den Schuldnern (sie stehen bei ihren Gläubigern im Schnitt mit 20 000 bis 30 000 Euro in der Kreide) eine Privatinsolvenz einzuleiten. Ein Verfahren, das Disziplin und Bescheidenheit, Unterstützung von Familie und Freundem einfordert. Fast alle meistern den Weg aus den Miesen. Nach sechs Jahren sind sie von der Restschuld befreit. Sehen wieder Land. Können ein neues, schuldenfreies Leben beginnen.
Wo es Hilfe gibt und wo Helfer gesucht werden
Unterkunft, Lebensmittel, Kleidung, Beratung: Menschen in Not werden in Bochum von einem engmaschigen Netzwerk aufgefangen. Hier einige der Hilfsangebote.
Übernachtungen
Fliednerhaus: Am Stadion 5a, Notunterkunft für obdachlose Männer und Frauen (täglich ab 19 Uhr).
Schlaf am Zug: Castroper Straße 1a, Notschlafstelle für Jugendliche (täglich ab 20 Uhr).
Lebensmittel
Wattenscheider Tafel: mittags Ausgabe an mehreren Stationen im Stadtgebiet; Info: 0 23 27/32 85 97 und www.wattenscheider-tafel.de
Suppenküche: Stühmeyerstraße 33, Mittagessen für 50 Cent montags, dienstags, donnerstags und freitags von 10.30 bis 13.30 Uhr.
Bekleidung
DRK-Kleiderkammer: Amtshaus Gerthe, Heinrichstraße 42, Ausgabe jeden ersten und dritten Donnerstag im Monat und jeden zweiten und vierten Dienstag im Monat von 15 bis 18 Uhr.
Beratung und Hilfe
Bahnhofsmission: Hauptbahnhof Kurt-Schumacher-Platz, montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr, samstags bis 16 Uhr geöffnet.
Beratungsstelle für alleinstehende wohnungslose Männer: Westring 28, montags bis freitags ab 8 Uhr, Duschen, Waschen, Post- und Meldeadresse einrichten.
Sprungbrett: Ferdinandstraße 36, Anlaufstelle für Jugendliche und junge Erwachsene, montags bis freitags von 12 bis 15 Uhr geöffnet.
Caritas-Schuldnerberatung: Lohbergstraße 2, Infos montags bis freitags 9 bis 10 Uhr, 0234/307 050.
Nahezu alle kirchlichen und privaten Einrichtungen haben ständig Bedarf an ehrenamtlichen Mitarbeitern. Wer sich für bedürftige Menschen in Bochum engagieren will, findet u.a. hier Ansprechpartner:
Suppenküche
Gesucht werden Menschen, die einmal wöchentlich bei der Essensausgabe mithelfen: 0234/640 53 23, Mail: bochumer-suppenkueche@t-online.de
Wattenscheider Tafel
Tatkräftige Hilfe bei der Tafel-Arbeit an den über 30 Ausgabestationen ist stets willkommen. Ausführliche Infos: 0 23 27/32 85 97; E-Mail: info@wattenscheider-tafel.de
Bahnhofsmission
Das Team im Hauptbahnhof freut sich über jede ehrenamtliche Unterstützung. Info: 0234/6 61 47.