Bochum. Krankenpfleger soll für das Öffnen seiner Wohnungstür 414 Euro zahlen. Verbraucherberatung hält maximal 180 Euro für angemessen.

Der Flachbildschirm ruht auf Wasserflaschen. „Ich wollte eigentlich ein Sideboard kaufen. Aber die Kohle hab’ ich jetzt nicht mehr“, sagt Dyar Mirza. Der 26-Jährige fühlt sich „abgezockt“ von einem Schlüssel-Notdienst. Verbraucherberater Rafael Lech pflichtet dem Krankenpfleger bei: „414 Euro: Das ist aus unserer Sicht Wucher.“

Gesund leben, Geld sparen, der Umwelt Gutes tun: Beim Verbrauchercheck erfahren unsere Leserinnen und Leser praktische Hilfe im Alltag. Seit dem vergangenen Jahr richtet die WAZ die Hausbesuche gemeinsam mit der örtlichen Verbraucherberatung ein. Heute beginnt eine weitere, vierteilige Staffel. Zum Start im Fokus: das Geschäft mit der Vergesslichkeit.

Dyar Mirza lebt seit zwei Monaten in der 53-Quadratmeter-Singlewohnung am Schwalbengrund in Grumme. Vielleicht war es dem Umzugsstress geschuldet, dass ihm an einem Samstagnachmittag Anfang August das Malheur passierte. Nach dem Einkaufen stand er vor verschlossener Tür: „Ich hatte blöderweise den Schlüssel vergessen.“

Per Smartphone machte sich Mirza auf die Suche nach Hilfe in der Nähe. „Ich googelte ,Schlüssel Notdienst Bochum’ und wurde schnell fündig.“ Zahlreiche Unternehmen werben mit einem 24-Stunden-Service. „Ich hab’ gleich den Ersten genommen“, schildert der Pfleger. Dass sich die Firma mit dem Zusatz „AAA“ ganz vorn platziert hatte, bemerkte er erst später.

Dyar Mirza vergaß beim Einkaufen an einem Samstagnachmittag seinen Wohnungsschlüssel. Ein Notdienst stellte ihm 415 Euro in Rechnung. Der Krankenpfleger zahlte. Die Verbraucherberatung fordert fordert 235 Euro zurück.
Dyar Mirza vergaß beim Einkaufen an einem Samstagnachmittag seinen Wohnungsschlüssel. Ein Notdienst stellte ihm 415 Euro in Rechnung. Der Krankenpfleger zahlte. Die Verbraucherberatung fordert fordert 235 Euro zurück. © Ingo Otto / Funke Foto Services

Nach gut einer Stunde, berichtet Dyar Mirza, seien zwei Monteure aufgetaucht. „Die benötigten nur wenige Minuten, um die Tür zu öffnen. Ich habe gesehen, dass sie dafür lediglich ein Stück laminiertes Papier gebraucht haben.“ Umso konsternierter war der Mieter, als ihm sogleich die Rechnung präsentiert wurde: 414,12 Euro verlangte die Firma mit Sitz in Essen.

Verbraucherberatung fordert Teilbetrag zurück

Dyar Mirza bezahlte vor Ort, bar und per EC-Karte: „Was blieb mir anderes übrig?“ Dass er möglicherweise deutlich zu viel gezahlt hat, wurde ihm erst einige Wochen später bewusst, als er mit seinem Vermieter sprach („Sie sind übers Ohr gehauen worden!“) und die Verbraucherzentrale einschaltete.

Dort zählt der Ärger mit Schlüssel-Notdiensten zu den Klassikern. „Immer wieder fallen Verbraucher auf unseriöse Anbieter herein. Sie nutzen die Hilflosigkeit aus und verlangen weit überzogene Preise“, beobachtet Berater Rafael Lech.

Bei der Rechnung, die Dyar Mirza aufgetischt wurde, erkennt der Experte den Straftatbestand des Wuchers. Bei einer einfachen Türöffnung seien 80 bis 120 Euro angemessen. „In diesem Fall liegt allein die ,Einsatzpauschale’ bei 189,21 Euro. Aus unserer Sicht hätte die komplette Türöffnung nicht mehr als 180 Euro kosten dürfen.“

Die Verbraucherberatung hat die Firma angeschrieben und 235 Euro zurückgefordert. Der Optimismus, dass Dyar Mirza das Geldbekommt, hält sich bei Rafael Lech in Grenzen. „Wenn der Kunde schon bezahlt hat, reagieren viele Firmen nicht.“ Gut möglich, dass die Wasserflaschen weiterhin das TV-Sideboard ersetzen müssen.

Wie man teuren Notdienst-Rechnungen vorbeugt 

Polizei und Verbraucherschützer schlagen Alarm. Trotz ständiger Warnungen zocken unseriöse Schlüsseldienste weiterhin wahnwitzige Beträge ab. Ging es vor Jahren noch um Rechnungen zwischen 250 und 400 Euro, „werden inzwischen 1000 Euro und mehr verlangt“, berichten die Experten.

33 000 Einträge verzeichnet Google bei den Suchbegriffen „Schlüsselnotdienst Bochum“. 67 Treffer listen die Gelben Seiten auf. Dabei, so wissen Branchenkenner, gibt es nur eine Handvoll Anbieter, die tatsächlich in Bochum firmieren und einen 24-Stunden-Service vorhalten. „Wählen Sie unbedingt ein ortsansässiges Unternehmen. Das reduziert die mitunter extrem hohen Anfahrtskosten“, empfiehlt die Verbraucherberatung.

Festpreis bereits am Telefon vereinbaren

Regional operierende Großanbieter erweckten mit dem Stadtnamen und der Vorwahl zwar den Anschein, in Bochum ansässig zu sein. Tatsächlich kommen die Monteure aber von weit her – und verdienen prächtig daran. Wichtig: „Vorsicht bei Firmen, die mit ,AAA’ beginnen. Die wollen in den Suchverzeichnissen nur ganz vorne stehen, um mehr Aufträge zu bekommen“, warnen die Verbraucherschützer.

80 bis 120 Euro, ab 18 Uhr und am Wochenende das Doppelte: damit muss kalkulieren, wer sich ausgesperrt hat. „Vereinbaren Sie bereits am Telefon einen Festpreis. Eine seriöse Firma lässt sich darauf ein“, sagt Verbraucherberater Rafael Lech. Doch die schwarzen Schafe seien zahlreich. Sie stimmen zwar einem Komplettpreis zu, machen dann aber angebliche Zusatzleistungen geltend. „Gern werden Zylinder oder ganze Schlösser ausgewechselt, ohne dass dies nötig wäre“, beobachtet die Polizei.

Wird nicht sofort bezahlt, werden die Bewohner genötigt, zum Geldautomaten zu fahren. „Einer Studentin in Bochum wurde von einem Monteur gedroht, die Tür wieder zuzumachen. Das ist strafrechtlich relevant“, betont die Kripo, die sich wünscht, dass mehr geprellte Kunden Anzeige erstatten.