Bochum. Asylbewerber müssen sich erst einen Behandlungsschein holen, bevor sie zum Arzt gehen können. Ministerium stellt einfachere Behandlung in Aussicht.

Wer schon einmal im Urlaub krank geworden ist, weiß, wie unangenehm es sein kann, sich in einem fremden Land behandeln zu lassen: ein Gesundheitssystem, das man nicht durchschaut; ein Arzt, der die eigene Sprache nicht spricht. Vor dieser mentalen Hürde stehen auch Asylbewerber in Deutschland. Hinzu kommen für sie allerdings noch bürokratische Hürden.

„Die Messlatte für einen Arzttermin hängt relativ hoch“, sagt Sozialamtsleiterin Ute Bogucki. Zunächst muss sich der Betroffene an einen Sozialarbeiter in seiner Flüchtlingsunterkunft wenden. Dieser wiederum setzt sich mit einem Mitarbeiter des Sozialamts in der Abteilung für wirtschaftliche Hilfen in Verbindung, der für den Asylbewerber einen Behandlungsschein ausstellt. Den Schein muss der Flüchtling oder eine von ihm beauftragte Person dann im Verwaltungszentrum in der Innenstadt abholen. Für einen kranken Menschen, der etwa in der Krachtstraße in Werne untergebracht ist, ein beschwerlicher Weg.

Wenn Flüchtlinge krank werden

„Das hat zur Folge, dass viele abwarten und dann irgendwann als Notfall ins Krankenhaus kommen“, so Bogucki. Ebenfalls problematisch: Wird ein Flüchtling freitags krank, kann er allerfrühestens am Montag zum Arzt gehen. „Die aktuelle Praxis ist durch die Vorinstanzen für die Menschen diskriminierend“, sagt Katharina Schubert-Loy von der Ratsfraktion der Grünen. Krankheiten werden verschleppt und können chronisch werden.

Bereits im Februar dieses Jahres forderten daher die Grünen und die SPD im Ausschuss für Gesundheit und Soziales zu überprüfen, ob es möglich sei, in Bochum eine Gesundheitskarte für Asylbewerber einzuführen. Vorbild hierfür ist die Stadt Bremen, die bereits seit 2005 Chipkarten der AOK an Flüchtlinge ausgibt, die damit ohne den Umweg übers Sozialamt direkt einen Arzt aufsuchen können. Für die Stadt würde die Kooperation mit einer Krankenkasse vor allem eine Entlastung der Verwaltung bedeuten. Bislang schicken Krankenhäuser und Ärzte jede Rechnung einzeln ans Sozialamt, die diese dann bearbeiten und begleichen müssen.

Ob es in Bochum eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge geben wird, liegt mittlerweile in den Händen des NRW-Gesundheitsministeriums. Ministerin Steffens (Grüne) fordert eine bundesweite Krankenkassen-Karte für Asylbewerber. Da diese sich bisher aber nicht abzeichnet, wird auf Landesebene nach einer Lösung gesucht, um die Situation zu verbessern. Das Ministerium führt nach eigenen Angaben aktuell Gespräche mit Vertretungen verschiedener Krankenkassen und der Kommunen. Man sei zuversichtlich, dass „der Abschluss einer tragfähigen Landesrahmenvereinbarung in den kommenden Wochen gelingt“. Die Einführung einer Gesundheitskarte sei Anfang 2016 „denkbar“.

Stadt gab drei Millionen Euro aus

Flüchtlinge in DeutschlandDie politische Initiative bekommt auch Rückenwind seitens der Wissenschaft: laut einer im Juli veröffentlichten Studie von Gesundheitsökonomen der Universitäten Heidelberg und Bielefeld ist eine reguläre medizinische Versorgung von Asylsuchenden günstiger als ein eingeschränkter Zugang zum Gesundheitssystem – und zwar um 40 Prozent.

Die Stadt Bochum gab im vergangenen Jahr rund drei Millionen Euro für die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge aus. Bogucki: „Damit werden wir in diesem Jahr aber nicht auskommen.“

Hilfe bei seelischer Not und für Menschen ohne Papiere 

Wer dabei zusehen musste, wie nahe Familienangehörige getötet oder vergewaltigt wurden, wer miterleben musste, wie sein Dorf in Schutt und Asche gelegt wurde, oder wer eingesperrt und gefoltert wurde, dem kann ein Allgemeinmediziner nicht helfen.

Das seelische Wohl von Flüchtlingen, ihre traumatisierenden Erfahrungen, geraten oft in Vergessenheit. Auch in Bochum werde eine psychologische Betreuung „nur in ganz wenigen Ausnahmefällen genehmigt“, sagt Katharina Schubert-Loy von der Ratsfraktion der Grünen. In solchen Situationen steht die Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum (MFH) den Betroffenen seit 1997 zur Seite.

Seelische Wohlergehen der Flüchtlinge

Aktuell kümmert sich die Menschenrechtsorganisation mit gerade einmal vier Therapeuten um das seelische Wohlergehen der Flüchtlinge. „Das reicht hinten und vorne nicht“, sagt Christian Cleusters von der MFH. 79 Klienten erhalten derzeit in verschiedenen Angeboten eine für die Betroffenen kostenlose psychotherapeutische Betreuung. Die Warteliste platzt mit 80 Personen aus allen Nähten. „Momentan können wir nur Menschen in akuten Krisensituationen aufnehmen“, so Cleusters. Das gesamte Angebot der MFH wird über Projektmittel finanziert, die Kapazitäten sind erschöpft. Die Organisation bietet auch eine Sozial- und juristische Beratung für Flüchtlinge an.

Darüber hinaus nimmt sich die MFH auch derjenigen an, die ohne Papiere in der Region leben und krank werden. In ihrer Sprechstunde vermittelt die Organisation Termine mit aktuell 68 kooperierenden Ärzten, die die illegal in Deutschland lebenden Menschen anonym und kostenlos behandeln. Rund 90 Menschen nehmen das Angebot jährlich in Anspruch. „Als Ärztin find ich die Situation unerträglich, dass Menschen in Deutschland ohne ärztliche Versorgung leben müssen“, sagt Bürgermeisterin Astrid Platzmann-Scholten. Vor rund fünf Jahren regte die Grünen-Politikerin daher die Einführung eines anonymen Krankenscheins für Menschen ohne Papiere an. „Aktuell gibt es dazu aber keine Überlegungen mehr. Damals war das Ergebnis, dass die Anonymität nicht gewährleistet werden könne.“