Bochum. . Mit zwei eigenen Inszenierungen geht Intendant Johan Simons in seine erste Saison. Für die Ruhrtriennale wünscht er sich auch neue Publikumsschichten.

Der neue Intendant auf der Zielgeraden: Ein paar Wochen noch, dann wird das Publikum sehen, wer und was sie ist, die Ruhrtriennale des Johan Simons. Derzeit hat er ein Mammut-Pensum, probt zwei Stücke gleichzeitig. Zeit für ein Gespräch mit Lars von der Gönna fand der Niederländer aber doch – über Wagners Götter, das Rätsel Ruhrgebiet und die Schönheit des Unvollkommenen.

Sie starten mit zwei eigenen Regiearbeiten. Zwei echte Brocken: Wagners Götterstudie „Rheingold“ für Bochum und Pasolinis Unterschichtentragödie „Accattone“ in Dinslaken-Lohberg. Haben Sie nie ein Kräfteproblem, Johan Simons?

Johan Simons: Nee. Jedenfalls nicht mehr als bisher in meinem Leben. Ich arbeite immer viel. Aktuell sehe ich das Arbeiten eher wie ein Maler in seinem Atelier. Mal kommt man beim einen Motiv weiter, dann hat man plötzlich wieder einen Schritt beim anderen Bild gemacht.

Ihre eigenen Premieren sind denkbar gegensätzlich: Pasolini erzählt von einem Zuhälter ganz unten, trotzdem von einer Art Führer. Wagner zeigt germanische Götter, wenn auch recht brüchig...

Simons: Pasolini beschreibt den vergessenen Teil der Menschheit, Wagner die Oberschicht, Götter. Aber eben, wie Sie sagen: total brüchig mit zerrütteten Ehen, mit Verträgen ohne Ende , also Abhängigkeiten, und mit Bauprojekten, für die überhaupt kein Geld da ist. Erinnert an manche Politiker...

Also schon Götterdämmerung?

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Simons: Ja, so sehe ich es. Von Anfang an ist die Götterwelt bei Wagner verloren. Natürlich habe ich anfangs wegen der „Maschinenmusik“ im „Rheingold“ die Oper für die Ruhrtriennale gewollt. Aber es gibt so vieles andere: Man spürt, welche Wut Wagner im Bauch hat, wenn es um die Mächtigen geht. Man spürt die Revolution, die Rebellion.

Sie drehen die Revolte durchaus weiter: Wagnerianer werden sich noch wundern!

Simons: Ja, das wird Puristen nicht freuen: Nach der Ambossmusik wird es zusätzlich Text geben und neue Musik von Mika Vainio. Das ist ein großes Wagnis. Aber dazu ist ein Festival da: nicht nur Sachen zu machen, die schon bekannt sind.

Haben Sie bei Wagner Blut geleckt, geht es vielleicht weiter?

Simons: Ich möchte gerne den ganzen „Ring“ machen, wirklich gerne.

Wie erleben Sie unsere Region?

Simons: Tja, wenn ich mit dem Auto ohne Navi fahre, weiß ich nach fünf Minuten nicht mehr, wo ich bin (lacht.). Aber nicht nur ich: Manchmal fahre ich mit Leuten aus meinem Team, Ruhrpottmenschen, ‘rum – und plötzlich sagt einer: Hier bin ich noch nie gewesen...

Ihre letzte Station war das feine München. Also vom teuren Viktualienmarkt zum Revier-Büdchen?

Simons: Ich suche noch ein gutes Frühstück. Das Essen in München ist tatsächlich „High Standard“, die Kleider auch. Aber irgendwo kotzt es dich auch an.

Wie erleben Sie die Städte, die Architektur hier?

Simons: Jeder baut, was er will, so sieht es jedenfalls aus. Aber das war im Gent des Mittelalters nicht anders. Ich mag das. Ich mag auch, dass die Menschen es hier schön finden, obwohl es nicht der Schwarzwald ist oder so. Diese Liebe zum Unvollkommenen gefällt mir, das ist meiner Kunst sehr verwandt. Das ist nicht hässlich, es ist eine andere Art von Schönheit. Es heißt ja immer: „Dies ist eine Region im Umbruch.“ Das ist Quatsch. Mit sowas ist man als Politiker fein raus. Nein, die Region ist einfach so. Sie ist so wie ich die Welt wahrnehme.

Wie zum Beispiel?

Simons: An der A40 gibt’s ne Mauer, hinter der auf kleinstem Raum eine Tankstelle ist, ein Rastplatz, ein Möbelladen, ein pleite gegangener Computershop und ein McDonalds. Total verrückt: Grandios! Purer Wahnsinn! Surrealismus! So ein Bühnenbild kann dir keiner zaubern. Es ist Hollywood und es ist ganz unten, es ist alles zugleich.

In Lohberg haben sie noch mal eine ganz andere Kulisse. Außerdem das Wissen, dass nebenan IS-Kämpfer angeworben wurden.

Simons: Klar hab’ ich das im Kopf, aber was macht man damit? Dazu diese eigene, fast separierte Kultur der Muslime in Lohberg. Die sehen uns zur Theaterprobe gehen und halten uns vielleicht für verrückt – und umgekehrt. Aber ich bin in einem Dialog mit Herrn Yildiz, Dinslakens stellvertretendem Bürgermeister. Eine Polemik, aber kritisch und konstruktiv.

Was ist Ihr großer Wunsch für Ihre erste Triennale?

Simons: Dass auch Menschen kommen, die bisher noch nicht bei uns waren. Das beschäftigt mich sehr. Das wäre mir echt eine Freude.