Bochum. . Auf die Dynamik der Jugend setzt sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche in Bochum. Dabei hilft, dass an der Spitze von beiden Institutionen derzeit ein Generationswechsel stattfindet.

Eigentlich ist es ein Zufall, obwohl Christen vielleicht lieber das Wort „Fügung“ verwenden (Wunder sind für andere Fälle reserviert), dass es an der Spitze der beiden großen Kirchen in Bochum jetzt einen Generationswechsel gibt. Besonders deutlich fällt dieser beim evangelischen Kirchenkreis aus. Pfarrer Dr. Gerald Hagmann hat mit seinen 42 Jahren das „Alleinstellungsmerkmal“ jüngster Superintendent in NRW. Obwohl er den Titel noch gar nicht führen darf. Denn eingeführt wird er erst im September.

Auf katholischer Seite fiel der Generationswechsel nicht ganz so deutlich aus. Doch Pastor Michael Kemper (54), neuer Stadtdechant und damit Erster unter Gleichen der katholischen Pfarrer in Bochum, setzte bereits wenige Tage nach seiner Ernennung durch Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck ein Zeichen. „Wir dürfen uns als Christen nicht erdrücken lassen. Wir befinden uns in einem komplizierten Entwicklungsprozess.“

Öffentliche Kirchenbank

Ganz unkompliziert hat Kemper eine dort bereits seit einiger Zeit vor dem Katholischen Stadthaus in der Huestraße 15 stehende alte Kirchenbank kurzerhand zur „öffentlichen Kirchenbank“ erklärt. Ob die Sonne brennt oder der Himmel sich verfinstert: Immer donnerstags setzt sich der Stadtdechant dort hin (15 bis 16.30 Uhr).

Nicht etwa, um die Seele baumeln zu lassen, sondern um zuzuhören, mittendrin zu sein in der Welt. Ein Zeichen in einer Zeit, in der es scheint, als bliesen die Christen auf breiter Front zum Rückzug. Nicht freiwillig natürlich, sondern gezwungen, durch wegbrechende Kirchensteuerzahlen und durch die beide Konfessionen hart treffenden Kirchenaustritte.

Stadtdechant Kemper sieht in diesem Schrumpfungsprozess trotz allem etwas Positives,. „Natürlich bleiben da Menschen weg.“ Aber es sei ein großes Maß an Echtheit, wenn sich Menschen frei entscheiden. Sein Credo: „Wir müssen präsent sein und uns immer wieder neu an die Seite der Menschen stellen.“

Große Dynamik

Die ganze Dramatik dieser Austrittswelle bekam vor allem die katholische Kirche zu spüren. Missbrauchsvorwürfe gegen Priester, die hierarchische Struktur dieser uralten Institution taten ihr Übriges, diesen Prozess zu beschleunigen. Doch auch die evangelische Kirche kam nicht ungeschoren davon.

Der gewählte Superintendent Dr. Gerald Hagmann vor der Christuskirche in der Innenstadt. Foto: Ingo Otto
Der gewählte Superintendent Dr. Gerald Hagmann vor der Christuskirche in der Innenstadt. Foto: Ingo Otto © Ingo Otto / Funke Foto Services

Der gewählte Superintendent Gerald Hagmann kennt diese Entwicklung. Doch der Familienvater steht mithin mitten im Leben und hat dadurch vielleicht einen kleinen Vorteil seinem katholischen Amtsbruder gegenüber. Er muss nicht umständlich erklären, dass er mit beiden Beinen in einer Welt steht, die immer säkularer wird. „In der evangelischen Kirche hier in Bochum ist wahnsinnig viel los, da passiert viel Gutes“, sagt er und macht damit den vielen Gemeindegliedern Mut, die es in Zeiten wegbrechender kirchlicher Strukturen oft nicht leicht haben.

Nicht verschanzen

Michael Kemper und Gerald Hagmann sind sich einig, dass es wenig Sinn macht, sich zu verschanzen und auf alten Strukturen zu beharren. „Kirche ist kein Selbstzweck“, sagt Hagmann. Sie müsse sich in der heutigen Zeit orientieren. Dazu gehöre auch die gezielte Nutzung der neuen sozialen Medien als Kommunikationskanäle. Schon heute nutze etwa die evangelische Kirche vor allem in der Jugendarbeit diese Dienste. Was aber nicht bedeute, dass ältere Menschen auf einen traditionell gedruckten Gemeindebrief verzichten müssten.

Unabhängig voneinander sehen sowohl Michael Kemper als auch Gerald Hagmann die Bewältigung des Flüchtlingselends ganz oben auf der Agenda. „Flucht, das ist ein ganz wichtiges Thema vor allem für uns Christen“, so Hagmann. In der Bibel gebe es zig Hinweise darauf. Taten und Gebet, für beides stehe eine Kirche, die sich den Schwierigkeiten dieser Zeit stelle.

Ungewöhnlich politisch für einen katholischen Geistlichen bringt sich Michael Kemper gegen die von der Bundesregierung geplante Aufgabe der Einzelfallprüfung bei bestimmten Asylbewerbern in Stellung: „Ich betrachte diese Entwicklung mit großer Sorge. Wenn wir das aufgeben, finde ich das sehr bedenklich.“ Es sei sehr wohl die Aufgabe von Christen, aktuelle politische Entwicklungen kritisch zu begleiten. Gleichzeitig gehe es darum, Lösungen anzubieten und Alternativen aufzuzeigen.

Konkrete Schritte aufeinander zu

Von der WAZ auf die Bedeutung der Ökumene, dem Besinnen auf das Gemeinsame der beiden christlichen Kirchen angesprochen, gestand Hagmann: „Ja, wir beide haben darüber schon miteinander gesprochen und uns gegenseitig versichert, dass wir ein großes Interesse daran haben.“ Auch wenn bekanntlich die katholische Kirche das gemeinschaftliche Abendmahl mit evangelischen Christen ablehnt, gibt es doch gerade in Bochum ganz konkrete Schritte aufeinander zu. Nachdem die evangelische Kirche etwa die Versöhnungskirche in Hordel aufgeben musste, feiert die Gemeinde nun ganz unbürokratisch ihren sonntäglichen Gottesdienst in der zur katholischen Pfarrei Peter und Paul gehörenden Barbara-Kapelle in Hordel.

Ein Patentrezept gegen Kirchenaustritte haben beide Gottesmänner erwartungsgemäß nicht zur Hand. Aber vielleicht könnten doch beide den Satz von Michael Kemper, „Mir ist es wichtig, täglich neu zu erfahren, was die Leute bewegt“, unterschreiben.