Borkum/Bochum. . Der erste Stadtwerke-Windpark ist Anfang Juni komplett fertig. Stadtwerke Bochum erwägen auch Investition in den zweiten Bauabschnitt.
Es gab Zeiten, da drohte die Windkraft den Stadtwerken Bochum unangenehme Turbulenzen zu bescheren. Bröckelnder Zement bei der Abdichtung der dreibeinigen Stützpfeiler, auf denen die knapp 150 Meter hohen Windkrafträder angebracht sind; Schwierigkeiten bei der Verkabelung und schließlich die mehr als zweijährige Verzögerung beim Bau der See- und Landleitung durch den Netzbetreiber TenneT. Die Beteiligung der Stadttochter am Trianel Windpark Borkum (TWB) schien unter keinem guten Stern zu stehen – und das bei einer Investition von gut 180 Millionen Euro des mit 18,46 Prozent größten unter den insgesamt 34 Anteilseignern an dem Projekt. „Wir haben Lehrgeld bezahlt“, räumt Geschäftsführer Dietmar Spohn ein. „Es ist schon schwieriger geworden als wir uns das haben vorstellen können.“
Wenn spätestens Anfang Juni etwa 45 Kilometer vor Borkum das letzte der insgesamt 40 Windkrafträder ans Netz geht und damit der erste deutsche, von einem kommunalen Konsortium betriebene Windpark fertig gestellt ist, dann hat sich der Problemfall offenbar aber doch noch zu einer Erfolgsgeschichte gedreht. Die angestrebte Rendite fällt mit sechs Prozent zwar magerer aus als ursprünglich erwartet, weil die Baukosten des Projekts mit etwa 1 Milliarde Euro um 100 Millionen Euro höher ausfallen als zunächst kalkuliert. Aber die Stadtwerke Bochum, so Spohn, werden mit TWB I, dem ersten Teil des Windparks, Geld verdienen. Spätestens 2020 werden jährlich etwa sieben Millionen Euro Gewinn aus dem Offshore-Geschäft in die Kasse fließen.
100 Millionen Euro teurer
Und dabei soll es nicht bleiben. Noch vor einigen Monaten hätte der Technische Geschäftsführer auf die Frage, ob Bochum sich auch am Bau des zweiten Parkteils TWB II beteiligen wird, mit einem wankelmütigen Blick beantwortet. Der Daumen tendierte eher nach unten.
Daten und Fakten zum Trianel Windpark Borkum I (TWB I)
Die Umspannplattform (1) ist die „Steckdose“ des 56 Quadratkilometer großen Windparks. 20 Meter über dem Wasser stehen auf zwei Decks Transformatoren zur Umspannung des erzeugten Stroms von der 33-kV-Spannungsebene (33 000 Volt) auf die zur Übertragung zum Netzanschluss benötigte Spannung von 15 kV.
Auf der Konverterplattform DolWin alpha (2) mit einer Kapazität von 800 Megawatt ist die Netzanbindung des Netzbetreibers TenneT angebracht. Die Plattform ist 9300 Tonnen schwer, ragt 42 Meter aus dem Wasser und ist 2600 Quadratmeter groß. Der produzierte Drehstrom wird in Gleichstrom umgewandelt und über ein 75 km lange Seekabel sowie eine 90 km lange Trasse an Land zur Konverterstation Dörpen West befördert.
In der Konverterstation
(3) wird der Gleichstrom wieder in Drehstrom umgewandelt und in das Übertragsnetz mit der Höchstspannung von 380 kV eingespeist.
Die 40 Windräder (4) haben eine Leistung von je fünf MW. Sie ragen 150 Meter hoch aus dem Wasser und stehen auf Tripoden.
Die dreibeinigen Fundamente, Tripod genannt (5), sind bis zu 900 Tonnen schwer und 50 Meter hoch. Sie stehen auf 100 Tonnen schweren Stahlrohren. Jedes einzelne von diesen 120 Stahlrohren wurde mit 3000 Hammerschlägen in den Boden gerammt. Für den gesamten Windpark wurden 48 000 Tonnen Stahl verbaut.
Das ist heute anders. „Wir haben ja lange überlegt, ob wir überhaupt etwas machen. Aber die Geschäftsführung der Stadtwerke Bochum spricht sich für einen Investition im zweiten Teil aus“, sagt Dietmar Spohn. Denn mittlerweile gilt die regenerative Energie nicht nur als ökologische, sondern auch als ökonomische Perspektive. Durch die Einführung des Erneuerbaren Energie Gesetzes (EEG) am 1. April 2000 gibt es eine Abnahmepflicht des Stroms aus erneuerbaren Energien. Derzeit erhalten die Erzeuger in den ersten acht Jahren eine Einspeisevergütung von 19 Cent pro Kilowattstunde und in den folgenden 27 Monaten von 15 ct/kWh. Das lohnt sich. Der größere Investitionsbedarf von Offshore-Anlagen gegenüber solchen an Land (On-
shore) rechtfertige sich durch die deutliche höhere Energieausbeute – auf der Nordsee liege sie um etwa 40 Prozent höher. Einen gut zehnprozentigen Anteil an TWB II, dessen Investitionsvolumen bei etwa 900 Millionen Euro liegt, kann sich die Geschäftsführung der Stadtwerke Bochum vorstellen, absegnen muss eine solche Beteiligung indes der Aufsichtsrat. Die Rendite-Erwartung liegt bei neun Prozent.
Beste Voraussetzungen
Sinn mache eine Investition, so Spohn. „Wir sind schon seit längerem der Meinung, dass wir in die erneuerbaren Energien investieren sollen, im Offshore-Bereich – und im Photovoltaikbereich vielleicht. Wenn wir Offshore investieren, dann sollten wir das im TWB II tun. Wir haben dort Erfahrungen gesammelt, wir kennen das Baufeld gut, die Anlage ist mit einem Netzanschluss und einem Umspannwerk für weitere 200 Megawatt ausgestattet. Also haben wir hier beste Voraussetzungen.“
Wenn Trianel im September TWB I offiziell eröffnet, dann laufen längst die Planungen für TWB II, der 2019 ans Netz gehen soll. Helfen soll dabei die Erfahrungen aus dem ersten Projekt („Die Fehler, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, die werden wir mit Sicherheit nicht noch einmal machen“). Allerdings sind auch Veränderungen geplant. Statt wie im TWB I auf drei Füßen (Tripod) werden die Windkraftanlagen künftig vielleicht nur noch auf einem Monopod stehen. Damit würde sich Trianel einer mittlerweile gängigen Praxis anschließen. 2014 waren nur noch vier der 440 in Europa neu errichteten Offshore-Windräder auf „Dreibeinen“ aufgestellt. Auch könnte der zweiten Parkteil bei gleicher Leistung von 200 MW weniger als die 40 Windanlagen in Teil eins aufweisen. Dazu müssten größere Anlagen als die jetzt eingesetzten 5-MW-Anlagen vom Typ Areva angeschafft werden.
Weitere Windprojekte auf dem Wasser oder an Land
1500 Meter hoch über dem Wasser hat es ihn in den Fingern gejuckt. Beherzt hat Dietmar Spohn das Steuer der gecharterten zweimotorigen Propellermaschine des Ostfriesischen Flug Diensts (OFD) übernommen und für einen kurzen Moment Richtung Trianel Windpark Borkum pilotiert.
Der Mann darf das. Nicht in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Stadtwerke Bochum, aber als ausgebildeter Flieger. Seit mehr als drei Jahrzehnten geht der Wattenscheider in die Luft, „am liebsten im Segelflugzeug“, wie er bekennt. Motorlos hat es der 54-Jährige einst sogar zu außerordentlichen Erfolgen geschafft. Mitte der 1980er Jahre stellte er über dem australischen Outback Weltrekorde auf.
Die Fliegerei, und vor allem der gekonnte Umgang mit dem Wind, ist seitdem seine große Leidenschaft. Und die hat ihn über Umwegen jetzt auch beruflich gepackt. Windkraft, davon sind Spohn und sein scheidender Mit-Geschäftsführer bei den Stadtwerken Bochum, Bernd Wilmert, überzeugt, kann ein einträgliches Geschäft sein – auf dem Wasser, aber auch an Land. Zumal: „Die Stadt Bochum verlangt uns ja einiges ab, als städtische Tochter jedes Jahr eine entsprechende Ausschüttung für den Haushalt. Da muss ich die Frage stellen, wie stelle ich das für die Zukunft sicher.“ Investitionen in erneuerbare Energien sollen auf dem durch die politischen Entscheidungen schwieriger gewordenen Energiemarkt einen Teil dieser Ausschüttung garantieren.
Kooperation mit Abo-Wind
In Frage kommt dabei nicht nur eine Beteiligung am Ausbau des Windparks Borkum. Auf Anfrage der WAZ bestätigt Stadtwerke-Sprecher Kai Krischnak, dass auch eine Beteiligung an einem weiteren Trianel-Projekt, der Beteiligungsgesellschaft für Erneuerbare Energien (TEE), erwogen wird.
Eingegangen sind die Stadtwerke 2014 eine Kooperation mit dem Projektentwickler Abo-Wind, mit dem Windkraftanlagen in NRW errichtet werden sollen. Geeignete Grundstücke dafür werden noch gesucht. Außerdem besitzen sie nach Angaben des Energiewirtschaft-Informationsdiensts Energie&Management vier größere Windturbinen in Bremerhaven und einen Solarpark in der Nähe von Würzburg.
300 Millionen Euro aus der Haftungsumlage
Anfang 2013 sollte TBW I seinen Regelbetrieb aufnehmen. Erst zweieinhalb Jahre später geht der Windpark nun wirklich komplett ans Netz. Nur durch die sogenannte Offshore-Haftungsumlage hat die Betreibergesellschaft diese Durststrecke überwunden. „Sie wäre sonst wahrscheinlich wie viele andere Gesellschaften auch insolvent geworden“, sagt Dietmar Spohn, Geschäftsführer der Stadtwerke Bochum und stellvertretender Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der Trianel Windkraftwerk Borkum. Mit der Umlage übernehmen die Verbraucher zu einem großen Teil Schadensersatzkosten, die durch verspäteten Anschluss von Offshore-Windparks an das Übertragungsnetz an Land oder durch langdauernde Netzunterbrechungen entstehen können. Trianel hat für etwa 90 Prozent der möglichen Einspeisung in den zweieinhalb Jahren eine Entschädigungen in Höhe von etwa 300 Millionen Euro erhalten.
Zahlen und Fakten
42 000Haushalte können mit dem Bochumer Anteil am TWB I jährlich mit Strom versorgt werden. Im Falle einer zehnprozentigen Beteiligung am TBW II kämen vermutlich 2019 noch einmal 23 000 Haushalte hinzu.
100Millionen Euro teurer als geplant ist TWB I geworden. Verantwortlich dafür war der Zeitverlust durch den späteren Netzanschluss des Dienstleisters TenneT, aber auch eigene Verzögerungen. „Die größten Herausforderungen waren es, die Fundamente zu setzen, aber insbesondere auch die Parkverkabelung“, sagt Dietmar Spohn. Dichtungsabrisse an den beiden ersten Tripoden mussten von Tauchern repariert werden. „Allein das hat 30 Millionen Euro gekostet.“
150.000Euro hat die Tagesmiete für eine sogenannte Jacket-Plattform gekostet – egal ob sie draußen auf See war oder aber wegen schlechten Wetters im Hafen liegen musste. Auf der Plattform konnten Gondeln, Rotorsterne und andere Elemente für drei Windkraftanlagen transportiert und von dort installiert werden.
16Offshore-Windparks mit 258 Windkraftanlagen waren in Deutschland Ende 2014 in Betrieb oder installiert. Damit ist nach Angaben der Europäischen Winderenergie Vereinigung EWEA Deutschland die Nummer drei in Europa hinter Großbritannien (1301) und Dänemark (513). Genehmigt waren in der Nordsee Ende 2013 bereits 1300 Windkraftanlagen, darüber hinaus gibt es für den Bau von 4200 weiteren erste Überlegungen.
23Millionen Kilowattstunden Strom wurden seit der Inbetriebnahme der ersten TWB-Anlage vor gut zehn Wochen in das deutsche Stromnetz eingespeist. Künftig sollen jährlich 800 Millionen kWh im Trianel-Windpark produziert werden. Damit lassen sich 230 000 Haushalte versorgen.