Bochum. . Der scheidende Geschäftsführer Bernd Wilmert empfiehlt nach zwei Jahren der Zurückhaltung wieder Investitionen in die Windkraft.

Die Stadtwerke Bochum werden am Montag 160 Jahre alt. Am 13. April 1855 wurden sie als städtische Gasanstalt gegründet. Groß gefeiert wird im Jubel-Jahr nicht. Wichtige Entscheidungen stehen an. Zum einen soll am 1. Juli ein neuer Chef im Hochhaus am Ostring das Kommando übernehmen, zum anderen sollen Investitionen beschlossen und das RWE-Aktienpaket wertberichtigt werden. Rund 65 Millionen Euro wird das kosten. Die Sitzung des Aufsichtsrates im Juni wird spannend.

Stand heute kann der Kaufmännische Geschäftsführer Bernd Wilmert wie geplant am 30. Juni von Bord gehen. Im Mai wird das Präsidium nach Informationen der WAZ die Weichen stellen und Personalvorschläge sichten, im Juni soll der Aufsichtsrat bereits entscheiden, wer künftig neben dem Technischen Geschäftsführer Dietmar Spohn an der Spitze der Stadtwerke stehen wird.

Wilmert hört am 30. Juni auf

Wilmert geht freiwillig, zwei Jahre früher als vertraglich fixiert. „Es sind ausschließlich persönliche Gründe, die zu dieser Entscheidung geführt haben“, sagte der 62-Jährige im November 2014, als er seinen Entschluss öffentlich machte. Hätte Wilmert seinen Vertrag erfüllt, wäre er am 30. September 2017 exakt 25 Jahre „Stadtwerker“ in Bochum gewesen.

160 Jahre nach ihrer Gründung sind die Stadtwerke gut aufgestellt. Für die hoch verschuldete Stadt Bochum ist der Energieversorger so etwas wie ein nimmermüder Goldesel. 2014 überwies das Unternehmen, das rund 750 Mitarbeiter beschäftigt, einen Gewinn in Höhe von 47 Millionen Euro an die Stadtkasse; hinzu kommen mehr als 20 Millionen Euro an Konzessionsabgaben.

Energieeffizienz ist ein großes Thema

Ein Naturgesetz ist dieser Erfolg nicht. Im immer härter werdenden Wettbewerb und mit Blick auf die Auswirkungen der Energiewende, müssen die Stadtwerke ihr Geschäft optimieren. Im Gespräch mit der WAZ blickte Bernd Wilmert voraus: „Nach zwei Jahren der Zurückhaltung müssen wir wieder gezielt investieren – und zwar insbesondere in Windkraftanlagen.“ Die Stadtwerke müssten teilhaben, wenn der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung von 25 auf 80 Prozent steige.

„Wir müssen außerdem in größerem Umfang als bisher als Dienstleister für unsere Kunden auftreten“, sagte Wilmert. Als großes Thema der Zukunft nannte er den Bereich Energieeffizienz. Die Stadtwerke könnten Kunden beim Einsatz von Photovoltaikanlagen und beim intelligenten Zusammenschluss von kleineren Blockheizkraftwerken beraten. „Mit dem Einsatz der intelligenten Stromzähler werden zudem neue Produkte möglich,“ so Wilmert.

RWE-Aktien sollen wertbereinigt werden

Im Zuge der Neuaufstellung könnte auch eine lästige Altlast entsorgt werden – die in der Bilanz zu hoch bewerteten gut 6,6 Mio RWE-Aktien. Wilmert: „Wir sind in Gesprächen mit der Stadt Bochum, wie die möglichen Verluste aufgefangen werden können. Wir arbeiten hart daran, den Anteilseigner von den Verlusten freizustellen.“ Zurzeit stehen die Aktien mit 34,25 Euro in der Bilanz, sie sind aber rund 10 Euro weniger wert.

Stadtwerke-Chef Bernd Wilmert im Interview 

Seit dem 1. Oktober 1992 ist Bernd Wilmert (62) Geschäftsführer der Stadtwerke Bochum. WAZ-Redakteur Thomas Schmitt sprach mit ihm über die vergangenen Jahrzehnte.

Herr Wilmert, welche Themen waren zu Beginn Ihre wichtigsten?

Bernd Wilmert: In der Zeit vor der Liberalisierung der Energiemärkte von 1992 bis 1998 war der Job von den Herausforderungen her überschaubar. In dieser Zeit haben wir versucht, die Stadtwerke breiter aufzustellen und neue Geschäftsfelder hinzuzugewinnen. Die Übernahme des Umweltservice Bochum gehört dazu. Gedacht haben wir dabei aber in erster Linie an die energetische Nutzung, also an die Müllverbrennung. Das hat sich zerschlagen, weil es auf diesem Markt später dramatische Überkapazitäten gab.

Mit der Gründung der Energieversorgung Mittleres Ruhrgebiet EWMR gaben sie 1998 gemeinsam mit den Städten Herne und Witten eine erste Antwort auf die Liberalisierung der Märkte. Wachstum und Selbstständigkeit waren die Themen.

Wilmert: Ja, die Liberalisierung war für uns als lokale Monopolisten, denen die Kunden nicht weglaufen konnten, eine Kulturrevolution. Darauf mussten wir uns einstellen. Erinnern Sie sich, wie Yello-Strom den Markt aufgemischt hat? Wir haben, wie andere auch, Kosten gesenkt. Viel wichtiger aber war es, die Mentalität im Betrieb zu verändern, den Wettbewerb als Chance zu sehen und nicht nur als Risiko. Das haben wir erfolgreich getan. Wir haben heute im Bereich Gewerbe- und Sonderkunden genauso viele außerhalb Bochums wie in Bochum. Bei den Verlusten vor Ort liegen wir weit unter dem Durchschnitt. Dieser beträgt 25 bis 30 Prozent, wir haben nur rund 10 Prozent unserer Kunden verloren.

Was kam danach?

Wilmert: Wir haben überlegt, wie wir den Handel in den Griff bekommen? Damals war es üblich, Verträge über eine Laufzeit von 20 Jahren zu machen. Das ging nicht mehr. Wir sind eine Beteiligung mit Trianel eingegangen. Wir waren der fünfte Partner, heute sind es 55. Trianel ist der größte Stadtwerke-Verbund in Deutschland, vielleicht sogar in Europa. Das war im Jahr 2000. Drei Jahre später haben wir gemeinsam mit Dortmund Gelsenwasser gekauft. Meiner Ansicht nach war das ein Glücksfall für die Stadtwerke.

Es folgten Beteiligungen an Kohle- und Gaskraftwerken.

Wilmert: Das war damals ein mutiger, aus heutiger Sicht ist es ein verhängnisvoller Schritt. Niemand ahnte, wie sich die Energiewende entwickeln würde. Ich halte sie für richtig und wichtig. Aber wie sie gemacht wird, das ist ökonomisch hart an der Grenze zur Verantwortungslosigkeit.