Bochum. Nur wenige Meter trennen die Sackgasse im äußersten Nordosten von Langendreer von Witten. Ihren Anwohnern vermittelt sie ein Gefühl von heiler Welt.
Ganz am Ende versteckt sich ihr größtes Kleinod: ein altes, mittlerweile umgebautes Bauernhaus (1) aus dem Jahr 1543 steht am Ende der Sackgasse Am Schöttelse in Langendreerholz. „Als ich 1960 hier eingezogen bin, gab es nur dieses Fachwerkhaus, unser Haus und ein weiteres“, erinnert sich Gerda Vollers. „Damals war das hier auch keine richtige Straße, sondern nur ein kleiner, unasphaltierter Weg.“
Mittlerweile hat sich das Bild der kleinen, etwas abgelegenen Straße gewandelt. Zwei- bis dreistöckige Ein- oder Mehrfamilienhäuser reihen sich aneinander, umgeben von ganz viel Grün. Von der Hörder Straße aus biegt man in „Am Schöttelse“ ein. Dort, an der Einmündung, steht das Schulgebäude der Bunten Schule Langendreer (2), die bis 2013 noch Schule an der Bömmerdelle hieß. Der ansehnliche Bau aus dem Jahr 1878 fällt sofort ins Auge und hebt sich von den moderneren Häusern auf der Straßenseite gegenüber ab.
Straßenlärm verstummt
Geht man ein paar Meter weiter, am großzügigen Schulhof entlang, beginnt der Straßenlärm der gut befahrenen Hörder Straße zu verstummen. Auf der linken Seite zieht eine leuchtend Blau gestrichene kleine Häuserzeile (3) die Aufmerksamkeit auf sich. Sie ist so etwas wie der „bunte Hund“ der Straße, deren Häuser sich sonst in eher dezenten Farben oder rotem Backstein präsentieren.
Am Schöttelse
Auf dieser Höhe beginnt die Schöttelse steil abzufallen. Zur Freude der Kinder, die hier wohnen. „Schon meine Jungs sind hier früher Schlitten gefahren“, erzählt Gerda Vollers. „Wir hatten hier unsere Ruhe und die Kinder konnten bis abends draußen spielen, das hat man woanders nicht“, so die 84-Jährige. Daran hat sich bis heute nichts geändert: „Im Winter fahren die Kinder hier mit dem Schlitten runter, im Sommer mit Rollerskates“, erzählt Anwohner Richard Hülsken. „Die Leute, die hier wohnen , wissen das und fahren entsprechend vorsichtig.“
Abgeschiedenheit als Vorteil
Die abgeschiedene Lage ist für den 73-jährigen Hülsken und seine Frau auch einer der größten Vorteile an ihrer Straße: „Dadurch, dass das hier eine Sackgasse ist, kommen nur Leute rein, die hier wohnen oder jemanden besuchen. Es gibt kaum Verkehr. Man hat das Gefühl von heiler Welt“. Ein Blick aus dem Wohnzimmerfenster der Hülskens verstärkt diesen Eindruck. Die Anwohner der linken Straßenseite haben nach hinten hinaus einen fast unverstellten Blick ins Grüne. Hinter den Häusern schließt sich eine riesige Ackerfläche an. „Besonders, wenn der Raps blüht, ist das ein toller Ausblick“, so Hülsken.
Zur anderen Seite hin erspäht man in kurzer Entfernung bereits die ersten Häuserdächer von Witten. Denn nur ein paar Meter Luftlinie und die Autobahn 44 trennen diesen Teil Bochums von der Nachbarstadt. Ein gleichmäßiges Rauschen, das sich verstärkt, je weiter man die Straße hinunterläuft, ist daher ständiger Begleiter der Anwohner. „Wir hatten zunächst Bedenken wegen der Autobahn, aber von der bekommen wir eigentlich kaum etwas mit“, so Hülsken.
Doch abgeschieden fühlen sich die Anwohner trotz aller Idylle nicht. „Wir wohnen hier ja extrem zentral“, sagt Richard Hülsken. Eine Aussage, die überraschen mag, liegt die Straße doch im äußersten Nordosten von Langendreerholz.
„Rheinischer Esel“ gleich nebenan
„Wir sind hier quasi das Dreiländereck: Witten-Bochum-Dortmund“, lacht Gerda Vollers. Denn wer hier lebt, verbringt mindestens ebenso viel Zeit in Witten und Dortmund, wie in Bochum. „Nach Witten können wir von hier aus laufen“, sagt Hülsken. Auch in Dortmund ist man mit dem Auto in wenigen Minuten. An den Feldern hinter der Schöttelse führt der „Rheinische Esel“ vorbei. Dieser Rad- und Wanderweg verbindet die drei Städte miteinander. In etwas mehr als 30 Minuten erreicht man über ihn zu Fuß die Innenstadt von Witten. am Schöttelse lebt man mitten im Grünen und doch ganz zentral.
Historisches: Flurbezeichnung gab den Straßennamen
Die Straße am Schöttelse, Stichstraße von der Hörder Straße nach Süden, wird erstmals 1929 im Bochum Straßenkataster erwähnt. Vorher, vor der Eingemeindung Langendreers, hieß sie Krummebeck.
„Am Schöttelse“ ist eine alte Flurbezeichnung, die vom mundartlichen „schottel“ = „Schüssel“ herstammt. Für die Endung „-se“ gibt es zwei Deutungsmöglichkeiten, die G. Nowak in seiner Dokumentation „Flurnamen als Straßennamen“ (1986) beschreibt. Danach könnte es sich a) um die Diminutiv-Endung – Verkleinerungsform – handeln oder b) um eine Verkürzung von „-sede“, wie in Scheppelsede, also Scheppelse = Scheffelsaat, ein altes Flächenmaß. So betrachtet, verweist der Name auch auf die landwirtschaftlich geprägte Geschichte der späteren Industrie- und Bergbaugemeinde Langendreer. Möglich aber auch, dass die Schüsselform des Geländes an der Stadtgrenze zu Dortmund Anlass zu der scherzhaften Verballhornung von „Scheppelse“ zu „Schöttelse“ war.
Im dicht bebauten Langendreer sind heute nur noch wenige Flächen für die Landwirtschaft offen. Allerdings gibt es mit der Bömmerdelle/Langendreerholz in unmittelbarer Nähe der Straße Am Schöttelse das größte zusammenhängende Waldgebiet im Bochumer Osten. Von Bedeutung ist die Bömmerdelle durch ihren naturnahen Charakter und die großen Bestände an Altholz mit Bäumen von über einem Meter Stammdurchmesser.