Bochum. Das Bochumer Schauspielhaus legt als Nachlese des Kunstfestivals Detroit-Projekt ein „Handbuch für Städte im Wandel“ vor.
Herausgeber des Arbeitsbuches „Schichtwechsel“ ist das Bochumer Theater mit dem Ruhr.2010-Nachfolger Urbane Künste. WAZ-Kulturredakteur Jürgen Boebers-Süßmann sprach mit Schauspielhaus-Dramaturgin Sabine Reich.
Warum ein „Arbeitsbuch“?
Sabine Reich: Es ist einmal eine Dokumentation dessen, was sich im letzten Jahr während des Detroit-Projekts alles ereignet hat, zum anderen ist es eine Anregung, sich weiter mit dem Wandel im Ruhrgebiet aus künstlerischer Sicht zu beschäftigen.
Das war ja auch schon der Anlass des Festivals.
Reich: Die Schließung des Opel-Werks markiert eine Zäsur in der Geschichte der Stadt. „This is not Detroit“ war ja zunächst eine trotzige Antwort auf diese Entwicklung. Das dann folgende Kunstprojekt entwickelte sich zu einer kritischen Untersuchung darüber, was eine Stadt wie Bochum sein kann, wenn sie nicht mehr Industriestandort ist.
Papier ist geduldig, die Zukunft nicht
Das Detroit-Projekt wirkt nach, auch wenn seine äußeren Zeichen – wie die Leuchtschrift auf dem Fördergerüst des Bergbaumuseums oder die künstlerischen Momente in leer stehenden Ladenlokalen – inzwischen wieder verschwunden sind. Man muss allerdings schon genauer hinsehen, um die Spuren zu finden, die das ambitionierte Kunstfestival im vergangenen Jahr hinterlassen hat.
Zu sagen: „Das war nichts“, nur weil man nicht tief genug eingestiegen ist/einsteigen konnte in die vielfältigen Angebote, wäre zu billig. Tatsächlich war da eine ganze Menge. Blättert man in dem gestern vorgestellten Arbeitsbuch kann man sich wundern, wie viele verblüffende und verspielte, vereinte und gemeinschaftliche Interventionen tatsächlich stattgefunden haben. In Bochum bewegt sich ‘was, lautet so gesehen die positive Botschaft.
Nun kommt es aber darauf an, dass „es“ sich auch weiterhin bewegt. Der Wandel kommt nicht von alleine, er will gestaltet sein. Das Arbeitsbuch ist dabei als Ideengeber anregend und hilfreich. Es sollte dann aber auch benutzt werden, und nicht im Regal verschwinden.
Zwar stimmt es, dass Papier geduldig ist. Bochums Zukunft ist es nicht.
Jürgen Boebers-Süßmann
Man hat den Eindruck, dass Vieles davon kaum die breite Öffentlichkeit erreicht hat.
Reich: Die Bürger waren immer eingebunden, denken Sie an das Mitmachkonzert „Just in time/just in sequence“ oder die partizipative Inszenierung „Die Kinder von Opel“, die im Schauspielhaus sehr gut besucht war. Aber die Entwicklung geht weiter, sie ist dynamisch, und jeder ist gefordert, weiter daran mitzuwirken.
Das Arbeitsbuch ist mit internationalen Beiträgen bestückt, zum Teil mehrsprachig gedruckt. Warum?
Reich: Diese Suchbewegung – was kommt nach dem Niedergang der Großindustrien? – findet momentan nicht nur im Ruhrgebiet statt, viele Regionen in Europa erleben massive De-Industrialisierungen. Insbesondere sind die Opel-Standorte in Spanien, Polen und England in ihrer Existenz gefährdet. „Detroit“ hatte deshalb von vorherein diesen internationalen Ansatz.
Wie steht’s um die Nachhaltigkeit des Festivals?
Reich: Man wird vielleicht erst in ein paar Jahren wissen, was das Projekt erreicht hat. Es ging ja nicht darum, Kunstwerke als Zeugnisse zu hinterlassen, sondern einen Denkprozess anzuregen. Eines steht aber jetzt schon fest. Das Nachdenken über die Zukunft Bochums war noch nie so übergreifend aufgestellt wie heute, Schauspielhaus, Bürger, Stadt, Hochschulen – alle sind eingebunden.
Schichtwechsel. Das Detroit-Projekt - Ein Handbuch für Städte im Wandel, Verlag Theater der Zeit, 136 Seiten, 15 Euro