Bochum. Kurz vor dem Aufkommen der Kohlenkrise siedelte sich 1956 Graetz in Riemke an. 1200 High-Tech-Arbeitsplätze entstanden- viele davon für Frauen.
Die Industriestadt Bochum war immer auch Standort für neue Technologie. Zumal in Zeiten des Zechensterbens in den späten 1950er Jahren suchte man nach Abwechslung in der wirtschaftlichen Monostruktur. Und fand sie nicht nur im Opel-Werk, sondern auch im High-Tech-Unternehmen Graetz.
Der Name ist heute kaum noch bekannt, dabei gehörten die Graetz-Werke über Jahrzehnte zu den deutschen Top-Unternehmen; 1956 hatte Erich Graetz sein Fernsehwerk IV in Riemke eröffnet. Es bot 1200 neue Arbeitsplätze; eine stattliche Zahl in einer Stadt wie Bochum, die der Kohlenkrise und dem Strukturbruch bereits ins Auge sah.
Graetz mauserte sich zum gefragten Arbeitsplatz
Blick in die Stadtgeschichte
Vieles, was einmal in Bochum war, ist inzwischen vergessen. Aber manches wissen die alten Bochumer noch von früher. Und die jungen sind neugierig, es zu erfahren.
Mit „Bochum historisch“ wirft die WAZ einen Blick in die Stadtgeschichte. Unter dem Motto „So sah Bochum einmal aus“ werden verschwundene und noch sichtbare Gebäude besucht.
Wegen des großen Anklangs, den die Reihe findet, ist „Bochum historisch“ im Herbst 2016 auch als Buch im Klartext-Verlag erschienen. ISBN: 978-3-8375-1674-6; 12,95 Euro.
Übrigens: Jürgen Boebers-Süßmann, der Autor von "Bochum historisch", ist auch auf Facebook.
Es wurden Fernsehgeräte und Fernsehtruhen gefertigt. Das Werk mauserte sich bald zu einem gefragten Arbeitsplatz, zumal für Frauen. Graetz war damals einer der wenigen industriellen Fertigungsstätten, in dem vorrangig Arbeiterinnen ihr Geld verdienten; die Schürzenfabrik Pongs & Zahn oder die Kabelwerke Reinshagen kamen erst später. Aus wissenschaftlichem Blick, erwies sich diese Tatsache als die eigentliche Innovation in den ansonsten von Bergbau und Stahl geprägten Fabriken jener Jahre.
Ein eigener Bahnhof nur 25 Meter vom Werkstor entfernt
In Riemke verfügte Graetz, umgeben von Großzechen und Bergbauzulieferern, nicht nur über einen eigenen Bahnanschluss, sondern auch über einen Haltepunkt, nur 25 Meter vom Werkstor entfernt - „Bochum-Graetz“ an der alten Salzstrecke nach Wanne. Der Vorort-Bahnhof wurde mehrmals am Tag zum viel frequentierten Umschlagplatz für die Graetz-Belegschaft.
Saubere Arbeitsplätze in einem zweckmäßigen Gebäude mit guten Verkehrsverbindungen machen das Bochumer Werk der Graetz KG zu einer für viele als ideal empfundenen Arbeitsstätte. „So sind auch von dieser Seite her alle Voraussetzungen für die Fertigung erstklassiger Qualitätsgeräte gegeben“, las man 1958 in der Werkspostille „Graetz Nachrichten“ – wenngleich die Produktion auf strikter, eintöniger Fließbandfertigung beruhte.
Verkauf an Standard Elektrik Lorenz
Bereits am 25. März 1961 verkaufte Fritz Graetz sein Unternehmen an Standard Elektrik Lorenz, weil er in seiner Familie keinen Nachfolger fand. Die Nachfrage nach dem Konsumgut Fernseher hielt ungebrochen an; unter SEL lief die Produktion optimal weiter, bis es Ende 1970 zur Überproduktion kam, nur 600 000 der in Bochum produzierten 800 000 Farbfernsehgeräten waren verkauft worden.
Anfang 1971 folgte Kurzarbeit. Ende 1986 verkaufte man SEL an Alcatel. Das Werk Bochum kam im 1988 zur finnischen Nokia, als Nokia von SEL die Bereiche Audio und Video und die Marken Schaub-Lorenz und Graetz erworben hatte.
Was folgte, ist bekannt. Zwar wurden noch bis ins Jahr 2000 Röhren-Bildschirme und TV-Geräte in Riemke hergestellt, aber 2008 kam das Aus für Nokia und den Standort der ehemaligen Fernsehwerke. 2000 Mitarbeiter mussten gehen – das bittere Ende einer Industriegeschichte, die 52 Jahre zuvor so hoffnungsvoll begonnen hatte.
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