Bochum. Ulrich Schlüter leitet seit 35 Jahren Gesprächsrunden mit Häftlingen. Er diskutiert mit ihnen über das Alltagsgeschen – und will zeigen: Es gibt noch ein Leben da draußen.

Wenn Ulrich Schlüter Woche für Woche durch die Gefängnispforte geht und freundlich von den Beamten empfangen wird, dann ist das ein bisschen so wie früher, als er von seinen Lehrerkollegen auf dem Weg zur nächsten Klasse begrüßt wurde. In seiner Ledertasche trägt der ehemalige Schulleiter Fragebögen, Zeitungsartikel, Zitatensammlungen. Aber Schlüter will niemanden unterrichten; er nutzt das Material lediglich, um mit Häftlingen der JVA ins Gespräch zu kommen.

Seit 35 Jahren leitet er mittlerweile Gesprächsgruppen mit Inhaftierten, die in Untersuchungshaft sitzen. Er diskutiert mit ihnen über die Bundestagswahl, Götzes Siegtor bei der WM oder dem CSU-Papier zur Deutschpflicht im eigenen Haus – eben über alles, worüber draußen geredet wird. Für sein Engagement wurde er Anfang Dezember sogar von NRW-Justizminister Thomas Kutschaty geehrt.

„Das war mir nicht ganz geheuer“, gibt Ulrich Schlüter zu. Denn das was er macht, sieht er nicht als etwas Besonderes. Eher als Notwendigkeit. Denn es sei nichts wichtiger, als den Inhaftierten Normalität zu vermitteln. Sein oberstes Ziel ist es, eine Verbindung zur Außenwelt zu schaffen „Viele können nicht für einen Moment vergessen, dass sie im Knast sind. Erst recht nicht in der U-Haft.“

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Viele wollen einfach mal raus

Die Gründe, warum jemand hier ist, sind für den 74-Jährigen dabei unwichtig. „Aber meist erfahre ich es doch sehr schnell. Wenn sich jemand vorstellt, nennt er nach dem Alter und der Heimatstadt meist den Grund, warum er sitzt.“ Drogenhändler, Sexualtäter, Apotheker, die bei Abrechnungen betrogen haben: Schlüter hat die verschiedenste Leute in seiner Gruppe. „Viele denken, hier sitzen nur Schwerkriminelle und fragen mich, ob ich keine Angst hätte.“ Er hat die Erfahrung gemacht, dass die meisten in Haft sind, weil sie in einem Moment unüberlegt gehandelt haben.

Zunächst kommen viele zu der Gesprächsgruppe, um einfach mal aus ihrer Zelle rauszukommen. Aber schnell entwickelt sich mehr. „Manche freuen sich die ganze Woche darauf, dass ich komme.“ Aber auch Schlüter selbst hat viel für sich mitgenommen. „Die wichtigsten Gespräche in meinem Leben habe ich im Knast geführt.“ Was denken Araber über den Nahost-Konflikt, was Cannabis-Konsumenten über die Drogenpolitik? Im Gefängnis hat der Pensionär Leute kennengelernt, mit denen er sonst nie ins Gespräch gekommen wäre. „Ich bin dadurch vorsichtiger in der Beurteilung von Menschen geworden.“