Bochum. Ein Niedersachse ist auserkoren, Bochums wirtschaftlicher Entwicklung neues Leben einzuhauchen. Am 1. November hatRalf Meyerdie Geschäftsführung der Wirtschaftsförderung Holding GmbH übernommen.

WAZ-Redakteur Andreas Rorowski hat mit Ralf Meyer über seine ersten Wochen in Bochum und anstehende Aufgaben gesprochen.

Herr Meyer, wie sind Ihren ersten Eindrücke von Bochum?

Ralf Meyer: Meine Frau und ich habe in den vergangenen Monaten einige Wochenenden in Bochum verbracht und waren von der Vielfalt des kulturellen Angebots begeistert. Beruflich kommt mir entgegen, dass Bochum insgesamt im Aufbruch ist. Man sucht einen neuen IHK-Geschäftsführer, einen neuen Stadtbaurat. Jetzt hat der Rektor der Uni gesagt, dass er geht. Die Sparkasse hat zum Jahresende einen neuen Vorstand. Insofern bin ich nicht alleine neu unterwegs. Das merke ich auch in den Gesprächen. Alle sind neugierig und es gibt die Erwartungshaltung es soll etwas gewuppt werden.

Was heißt das genau?

Meyer: Ich bin regional viel unterwegs. Und da ist man gespannt darauf wie Bochum reagiert. Opel ist in aller Munde, aber nur der Anlass für viele Dinge. Die Erwartungshaltung ist nicht nur, da kommen neue Leute und die müssen alles ändern, sondern: Was macht Bochum mit dieser neuen Situation. Wenn wie jetzt die ersten Förder-Millionen fließen, ist damit die Hoffnung verbunden, dass auch an die Region gedacht wird.

Beflügelt das?

Meyer: Das ist der Reiz. Ich hatte einen Superjob in Hannover und den hätte ich noch zehn Jahre machen können. Mich hat es sehr gereizt, nach Bochum zu kommen, gerade wegen der offenen Situation. Es ist meines Wissen nach die einzige Stadt in Deutschland, die es gewagt hat, das Thema Wirtschaftsförderung, Projektentwicklung aus der Verwaltung herauszunehmen und zu sagen, wir organisieren das komplett neu.

Was unterscheidet Bochum von Hannover und die Wirtschaftsförderung Holding von ihrem früheren Arbeitgeber hannoverimpuls?

Meyer: Hannover ist mit 520.000 Einwohner so viel größer nicht, aber es hat mit seinem Umfeld 1,1 Millionen Einwohner. Niedersachsens hat keine andere Stadt dieser Größe und Bedeutung. Das ist im Ruhrgebiet einfach anders. In Hannover gibt es TUI, Johnson Controls, die Conti, VW mit dem Nutzfahrzeugwerk. Das sind richtige große Player, auch DAX-Konzerne. Bochum ist anders strukturiert. Was schön ist, dass es hier einen gesunden Mittelstand gibt. Es gibt auch große Industrie, aber dazwischen eben nicht so viel. Das prägt auch die Menschen.

Inwiefern?

Meyer: Das Ruhrgebiet ist geprägt dadurch, dass das Thema Unternehmensgründung und Unternehmer eher vernachlässigbar ist. Die großen Industrien haben Geschäftsführer. Die Unternehmen sind eher familiär geprägt. Dass man sagt, aus der Uni oder aus anderen Bereichen mache ich mich selbstständig, ist nicht so groß entwickelt.

Alleinstellungsmerkmal ist das Ruhrgebiet 

In Hannover haben Sie das mit einem Beteiligungsfonds und 27 Millionen Euro zu lösen versucht. Ist das auch in Bochum ein geeignetes Instrument?

Meyer: Auf jeden Fall. Ich glaube gerade das Thema wissensbasierter Technologiegründungen kann man nur mit dem Thema Finanzierung lösen. In Hannover habe ich damit Erfolg gehabt. Wenn man die Ausgründungsquote der Ruhr-Uni betrachtet, sehen Sie, dass die Ruhr-Uni unter den großen 30 Unis in Deutschland gar nicht auftaucht.

Wie schnell lässt sich da dennoch etwas auf den Weg bringen?

Meyer: Was wir tun müssen, ist Bochum zu adressieren. Wir werden es nicht schaffen, die architektonisch schönsten Werkhallen zu bauen oder große Unternehmen anzulocken. Wir müssen nach dem Alleinstellungsmerkmal des Ruhrgebiets schauen. Das ist die einzige konkurrenzfähige Urbanität in Deutschland. Urbanitäten, die wirtschaftlich interessant sind, haben weltweit immer Einwohnerzahlen ab 6 Millionen aufwärts. Das finden sie nicht in München, nicht in Berlin oder Hamburg, sondern nur hier.

Es heißt, die Größe des Opel-Areals sei relevant, da es keine vergleichbar große Industriefläche gibt?

Meyer: Lassen sie mal fünf oder zehn Jahre ins Land gehen und schauen dann, was mit den Entwicklungen bei Eon, RWE oder Thyssen geschieht. Dann wird sicher noch einmal so eine Fläche von der Größe Opels zur Verfügung stehen. Die Adresse wird sein: Bochum hat es geschafft, nicht nur kommunal, sondern regional zu denken und die Standortvorteile zu nutzen, um Technologie, Produktion und wissensbasierte Themen zu etablieren. Das ist das Alleinstellungsmerkmal.

DHL als erster Investor kommt erst 2017 statt 2016. Ein Problem?

Meyer: Ich sehe die Zeitachse nicht problematisch. Bochum hat den Vorteil, dass kein Industriewandel auf einem Areal dieser Größe so schnell stattgefunden hat wie hier. Nirgendwo war man so weit in der Planung. Dass es einen Förderantrag gibt, der noch während der Produktion dort bewilligt wird, gab es nirgendwo.

In der Holding sollen verschiedene Kulturen zusammengeführt werden 

Werk II und III scheinen in Vergessenheit zu geraten, ihre Zukunft hängt ab von den Plänen Opels. Muss man nicht darauf achten, dass deren Entwicklung nicht von Werk I abgekoppelt wird?

Meyer: Opel ist der Eigentümer und sagt, es gibt gewisse Verwertungsinteressen. Damit müssen wir umgehen. Ich kann zwar Wünsche äußern. Aber ich muss gucken, was ist die Realität und was kann man tun, um das Gleichgewicht zu halten mit den Interessen eines Global Players und den unserigen. Am geschicktesten ist es, wenn wir es hinkriegen, beiden Seiten gerecht zu werden.

Gerecht werden muss man auch Investoren. Zwischen Werk II und III gibt es eine Fläche, die ein Unternehmer gekauft und zum Teil schon aufbereitet hat. Aber offenbar gibt es bürokratische Hürden. Ist das das richtige Signal für Investoren?

Meyer: Ich glaube schon, dass man grundsätzlich sagen kann für die Bearbeitung solcher Planungsthemen und der Umsetzungsgeschwindigkeit gibt es Verbesserungspotenzial. Aber man muss den Einzelfall betrachten. Grundsätzlich ist es das Ziel von Wirtschaftsförderung, solche Prozesse schneller zu gestalten.

Was kann man tun, um beim Standort der Sparkassenakademie als Sieger hervor zu gehen oder die Deutsche Annington zu halten?

Meyer: Man muss, um Projekte wie die Sparkassenakademie zu gewinnen, gut verdrahtet sein, und man muss sehr genau hinhören, auch die Zwischentöne hören, was ist wirklich gefordert. Und ob wir das Projekt kriegen oder nicht, es wird auch das nächste Projekt kommen. Ich glaube man muss den Anlass Opel nehmen, um im Gespräch zu bleiben. Wir kriegen im Moment Anfragen, die wir sonst nicht gekriegt hätten. Ich weiß, dass Eon aus Hannover 400 Arbeitskräfte abziehen und ins Ruhrgebiet verlegen will. Wir müssen gucken, dass wir diesen Anlass nutzen, um in dieser Gesprächsatmosphäre zu bleiben. Was die Deutsche Annington betrifft, da bin ich ganz zuversichtlich.

Wie werden Sie es schaffen, unter dem Dach der Wirtschaftsförderung Holding ein ehemaliges städtisches Amt und einige Firmen zu bündeln und zu führen?

Meyer: Das ist erst mal ein Zusammenführen der Kulturen. Die einen sind schon länger selbstständig unterwegs als GmbH, trotzdem mit öffentlichen Dienstthemen ausgestattet. Die anderen sind gerade mal ein knappes Jahr aus der Amtsstruktur entlassen. Diese Kulturen zu lesen und dann zu sagen, was ist die beste Struktur in der man arbeiten kann, das wird die Herausforderung sein. Wir werden auch bei der EDV oder bei dem Thema Kundenmanagementsystem einheitlich arbeiten. Es ist wichtig, zu wissen, mit welchen Unternehmen arbeiten wir, welche Historie haben sie. Und da sollten alle, egal ob von der EGR oder von der Wirtschaftsförderung, gleich im Thema sein. Sich mehr als Dienstleistungsagentur zu fühlen, das wird ein großes Thema sein. Im Sommer hat die WAZ berichtet, dass einige Unternehmen nicht so ganz zufrieden mit der Wirtschaftsförderung sind. Ich möchte dazu kommen, dass wir diese Zufriedenheit messen und sie erhöhen können.