Essen. Berlins Fußball-Boss legt bei seinen Angriffen auf den VfL Bochum erneut nach: Der Anstand bleibt dabei auf der Strecke. Ein Kommentar.
Wie sehr einen Menschen es beeinträchtigt, wenn er durch ein Fluggeschoss am Kopf getroffen wurde, können genau zwei Menschen beurteilen. Der Getroffene und sein Arzt. Industriemechaniker, Präsidenten von Fußballklubs oder auch Fernsehzuschauer mit X-Account und unruhigem Daumen sind für Fern- und Blitzdiagnosen zu Schmerzen oder dem Grad einer Verletzung nicht qualifiziert.
Patrick Drewes, Torwart des VfL Bochum, wird mittlerweile zum dritten Mal getroffen. Erst von einem Feuerzeug beim Auswärtsspiel bei Union Berlin Ende vergangenen Jahres. Dann unmittelbar danach, als ihm nach dem Kopftreffer in den Sozialen Medien vorgeworfen wurde, zu simulieren. Und jetzt noch einmal, nachdem das Sportgericht des DFB das wegen des Wurfes und der Spielunfähigkeit Drewes abgebrochene Spiel für Bochum wertete.
Union-Boss Zingler geht in die Offensive
Ganz vorne dabei in dieser dritten Welle ist Union-Präsident Dirk Zingler, der unmittelbar nach Urteilsverkündung orakelte, dass „Schmierentheater und Betrug Tür und Tor“ geöffnet würde. Bei Sky legte der Berliner jetzt noch einmal nach und sagte, dass der VfL sich unfair einen Vorteil verschafft habe.
Natürlich ist Zingler klug genug, Drewes nicht direkt zu beschuldigen, aber viele werden das nicht Gesagte wohl ergänzen können: Nämlich, dass der Torwart, wenn er nur ein ganzer Kerl wäre, bis zum nahenden Abpfiff die Zähne zusammen gebissen hätte. Und natürlich hätte, so der Klub-Boss, Union in der gleichen Situation auf jeden Fall weitergespielt.
Zingler verkehrt Täter- und Opferrolle
Der Umgang des Berliners mit dem Vorgang wirkt hochgradig unanständig, die Verkehrung von Täter- und Opferrolle verfolgt selbstverständlich einen Zweck. Zingler greift nicht nur den VfL Bochum an, auch der DFB und das Sportgericht bekommen in aller Schärfe ihr Fett weg. Das Verfahren sei, so der Klub-Boss, ein „unfairer Skandal“, bei dem „ein politisches Exempel statuiert“ werden soll. Da hat jemand im US-Wahlkampf ganz genau hingeschaut und versucht, mit allen Mitteln die öffentliche Meinung in seinem Sinne zu beeinflussen und vor dem anstehenden Berufungsverfahren Druck auf das Sportgericht aufzubauen.
Ein scharfer Krieg um die Deutungshoheit
Selbstverständlich hat Union Berlin jedes Recht, gegen ungünstige Urteile in Berufung zu gehen, Entscheidungen des Sportgerichtes anzuzweifeln. Vielleicht haben die Anwälte des Klubs sogar die richtigen Argumente. Die sollen sie dann dort vortragen. Die Schärfe des Meinungskrieges, zu der Dirk Zingler sich hat hinreißen lassen, ist dagegen nur schwer erträglich.
Vermutlich ist der sportliche Erfolg im Bundesliga-Fußball so wichtig, jeder Punkt finanziell so bedeutsam, dass im Ernstfall als erstes der Anstand über Bord geht. Und das ist der eigentliche Skandal.