Frankfurt am Main. 2:0 statt 1:1: Das DFB-Sportgericht hat dem Einspruch des VfL Bochum gegen die Wertung des Spiels bei Union Berlin stattgegeben. So lief der Tag.
Im Sakko, weißem Hemd sitzt Patrick Drewes im Zeugenstand. Er spricht leise im großem Saal „Golden Goal“ am DFB-Campus, gewidmet dem 2:1-EM-Triumph der deutschen Nationalmannschaft in London 1996. An diesem verregneten Donnerstag in Frankfurt aber ging es nicht um Glanz, sondern um Grundsätzliches im deutschen Fußball – und Punkte für den VfL Bochum und Union Berlin im Abstiegskampf.
Im Mittelpunkt: Patrick Drewes, der VfL-Torwart. Er war von einem Feuerzeug, geworfen von einem Union-Anhänger im Ligaspiel am 14. Dezember am Kopf getroffen worden, konnte nicht weiterspielen. Nach 28 Minuten wurde die Partie fortgesetzt, endete nach einem Nichtangriffs-Pakt 1:1. Fair? Unfair? Bochum hatte sein Wechselkontingent ausgeschöpft, legte Einspruch vor dem DFB-Sportgericht ein. Union zweifelte die Verletzung von Drewes an und warf Bochum vor, die Situation auszunutzen.
Nach drei Stunden Verhandlung: VfL Bochum bekommt den Sieg zugesprochen
Ergebnis nach drei Stunden Verhandlung vor dem DFB-Sportgericht: Das Spiel wird mit 2:0 für den VfL gewertet. Sieg am Grünen Tisch! Ilja Kaenzig war um kurz nach 17 Uhr „erleichtert“, wie er sagte: „Wir sind glücklich, dass unsere Argumente praktisch vollumfänglich auch gehört wurden. Wir haben damals schon betont: Es kann leider jeden treffen, der Fußball ist immer der Verlierer, wenn solche Dinge passieren. In diesem Fall ist es passiert. Dann muss das Regelwerk zur Anwendung kommen. Das Spiel hätte abgebrochen werden müssen.“ Der VfL spielte nur unter Protest weiter, die Teams schoben sich nach einem „Nichtangriffs-Pakt“ die Bälle zu. „De facto war es ein Spielabbruch“, so Kaenzig.
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Union Berlins Sprecher Christian Arbeit war entsprechend „nicht zufrieden“ und kündigte an, dass sein Klub „wahrscheinlich“ in Berufung gehen werde. Dafür hat der Verein eine Frist von einer Woche. Bis zu einer endgültigen Entscheidung erhält der VfL in der Tabelle auch nicht die zwei Punkte, die ihn aktuell bis auf zwei Zähler an den Sechzehnten Heidenheim heranführen würden.
VfL Bochum: Keeper Drewes wirkt nervös, aber souverän
Patrick Drewes verfolgte die Sitzung bis zum Schluss. Aufrecht saß er nach seiner Vernehmung in der ersten Zuschauerreihe, reserviert für Zeugen. Rund 20 Journalisten saßen ihm im Nacken, Richter Stephan Oberholz ein paar Meter vor seinem Angesicht. Er löcherte ihn, hakte immer wieder nach, wie es ihm wo und wann ging. Drewes sprach ruhig, wirkte nervös, mitunter wurde seine Stimme leise.
Einen „starken Schmerz“ spürte er beim Feuerzeug-Kopftreffer, danach lief „vieles wie im Zeitraffer, war diffus“, sagte Drewes. Schwindelgefühle stellten sich ein, vieles habe er nicht richtig mitbekommen, könne er zeitlich nicht klar zuordnen. Gefragt worden, ob er weiterspielen könne, habe ihn aber niemand, stellte er mehrmals klar – was bei Unions Vertretern um Geschäftsführer Horst Heldt und Geschäftsführer Oskar Kosche für Stirnrunzeln sorgte.
Die Entscheidung traf Mark Sandfort, der Teamarzt des VfL am Spielsamstag. Erste Signale gab er bereits auf dem Feld Richtung Schiedsrichter. In der zunächst abgedunkelten Kabine seien die Symptome wie Schwindel und Übelkeit „tendenziell schlechter“ geworden, er konnte eine leichte Gehirnerschütterung nicht ausschließen. Bei Kopfverletzungen gebe es klare Regeln, so Sandfort. Richter Oberholz stellte bei seiner Urteilsbegründung klar: „Patrick Drewes‘ weitere Spielteilnahme war nicht mehr zumutbar. Wir konnten keine Anhaltspunkte für eine Schauspieleinlage von Drewes oder einen Komplott oder ein Schmierentheater finden.“
Große Erleichterung für den Keeper, der auch in sozialen Medien viel Spott und Hass abbekommen hatte. Äußerlich nimmt er die Sätze regungslos auf.
VfL Bochum: Schiedsrichter musste ebenfalls aussagen
Mit der klaren Feststellung seiner Verletzung hatte der VfL eine Hürde genommen. Die zweite: die Spielfortsetzung. Schiedsrichter Martin Petersen sagte rund eine halbe Stunde lang im Golden-Goal-Saal aus, war sichtbar froh, als er nach Hause fahren durfte. Weil die Sicherheit der Spieler gewährleistet gewesen sei und das Spiel „ordnungsgemäß“, also mit mindestens sieben Spielern, fortgeführt werden konnte, hätte er die Partie nicht beendet.
Dr. Joachim Rain von der Kanzlei Schickhardt, der den VfL als Anwalt vertrat, hakte nach, auch die beiden Beisitzer des Gerichts. Spielte es keine Rolle, dass ein Spieler bereits verletzt worden sei? „Ich habe häufiger erlebt, dass Gegenstände geflogen sind, bei Freistößen, Ecken. Ich hatte das Gefühl, dass die Sicherheit weiter gewährleistet ist.“
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Für Petersen spielte es dabei keine Rolle, dass der VfL durch Drewes‘ Verletzung einen Mann weniger hatte – für das Gericht schon. Der Ermessensspielraum hätte einen Abbruch ermöglicht, der für das Gericht „richtig“ gewesen wäre, sagte Oberholz. Der Nichtangriffspakt sei nicht im Sinne des Wettbewerbs, die kurze Restspielzeit dürfe keine Rolle spielen.
Drewes hörte beim Urteil aufmerksam zu, regte sich kaum – und fuhr wenig später heim. Drewes saß schon morgens selbst am Steuer, als es nach Frankfurt ging. Am Samstag will er wieder seinem Job nachgehen, im Tor des VfL beim Spiel in Mainz. Dann kämpft Bochum um seinen ersten sportlichen Auswärtssieg.