Bochum. Im WAZ-Interview spricht Ilja Kaenzig, Finanzchef des VfL Bochum, über die Wirkung des Bayern-Sieges, Entwicklungen und Ziele und Ablösesummen.
Seit Februar 2018 ist Ilja Kaenzig Sprecher der Geschäftsführung des VfL Bochum. Der unter anderem für die Finanzen zuständige Schweizer (48) freut sich nach dem Aufstieg in die Bundesliga im vergangenen Sommer über einen weiteren Meilenstein – wenn der Klassenerhalt gelingt. Im Interview spricht Kaenzig über die Wirkung des Bayern-Sieges, die Entwicklungen und Ziele, Ablösesummen und Probleme in der Pandemie.
Herr Kaenzig, haben Sie den Etat für die Bundesliga-Saison 2022/23 schon aufgestellt?
Ilja Kaenzig: Ja, weil die Lizenzierung ansteht, bis zum 15. März müssen wir die Unterlagen einreichen – inklusive des Etats für die 1. und 2. Bundesliga. Unsere Annahmen ändern sich allerdings permanent. Wir haben erst sehr konservativ geplant, dann etwas mutiger, dann kam die Omikron-Variante, wir haben wieder mit vielen Geisterspielen gerechnet. Letztlich war es aber nur eine Partie ganz ohne Fans.
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In dieser Saison beträgt der Lizenzspieleretat 24 Millionen Euro, wird er nächste Saison im Fall des Klassenerhalts steigen?
Den geplanten Etat dieser Saison können wir trotz der Coronabeschränkungen halten. Unser Ziel bleibt es, in den nächsten Jahren den Umsatz kontinuierlich auf 100 Millionen Euro in der Bundesliga und etwa die Hälfte in der 2. Liga zu steigern, um den Lizenzspieler-Etat signifikant zu erhöhen, um in der Bundesliga auf Dauer bestehen zu können, respektive um den Aufstieg zu spielen. Sollte uns der Klassenerhalt gelingen, gibt es neben der Frage nach der Auslastung des Stadions in den weiteren Spielern dieser Saison aber noch einige andere Faktoren, die den künftigen Lizenzspieler-Etat beeinflussen. Vielleicht können wir Transfererlöse erzielen. Wir haben einige Kandidaten, die sicherlich nicht bis zu den Alten Herren bei uns bleiben. Beim TV-Geld (ca. 32 Millionen Euro Einnahmen für diese Saison/die Redaktion) könnten wir aber im Ranking auch einen Platz und damit mehr als drei Millionen Euro verlieren. Wenn Bremen und Schalke aufsteigen und Fürth absteigt, würden wir nur auf Rang 18 geführt nach Platz 17 in dieser Saison. St. Pauli, der HSV, Darmstadt oder Heidenheim würden im Aufstiegsfall hinter uns liegen. Aber solche Gedanken sind eigentlich verboten, denn erst einmal müssen wir selbst die Klasse halten.
Noch Zweifel?
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Es gibt in der Bundesliga zwei Traditionen: Bayern wird Meister. Und die Abstiegsfrage klärt sich am vorletzten und letzten Spieltag. Wir bleiben demütig, das ist in der DNA des VfL Bochum verankert.
Der VfL hat gegen den FC Bayern furios mit 4:2 gewonnen. Ist dieser Sieg mehr wert als drei Punkte?
Sportlich ist zunächst wichtig, dass Trainer Thomas Reis dafür sorgt, dass sich keiner einlullen lässt. Er hat einen großen Konkurrenzkampf, er selbst geht mit seiner Gier voran. Wenn man am Ende absteigt, wird auch dieses Spiel relativiert. Wenn wir die Klasse halten, war es ein Meilenstein für den Verein, über den man noch Jahre später sprechen wird. So einen Meilenstein braucht jedes gute Projekt. Man kann ihn nur nicht planen, und er wird in Deutschland nur mit Siegen gegen Bayern gesetzt.
Mit welchem Effekt?
Einem goldenen Effekt. Es war nicht der Sieg an sich. Es war die Art und Weise, wie wir gewonnen haben, mit vier Toren in der ersten Halbzeit. Dies hat zu einer hohen nationalen und internationalen Aufmerksamkeit geführt. Im Fußball gibt es keine Wahrheit, es gibt nur Meinungen, es geht immer um die Wahrnehmung. Und die Wahrnehmung des VfL ist zurzeit: In Bochum wird ein toller Job gemacht, die schlagen auch die Bayern, und zwar beeindruckend. Unsere langjährigen Sponsoren vor Ort kennen unser Projekt, die wissen, wie wir arbeiten. Aber bei denen, die es noch nicht wussten, gehen nach einem solchen Sieg gegen Bayern die Augen auf. Nach einer neuen Studie gibt es knapp 18 Millionen Sympathisanten des VfL in Deutschland, da liegt noch viel Potenzial brach, das wir heben werden.
Stehen neue Partner seit dem Bayern-Spektakel jetzt schon Schlange?
Noch nicht. So einfach funktioniert das Geschäft dann doch nicht. Aber wenn wir die Liga halten, wird sich dieser Meilenstein vergolden lassen.
Hilft der Bayern-Sieg auch bei der Investoren-Suche?
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Wir haben viele Kontakte und noch keinen Investor verpasst. Aktuell steht aber keiner vor der Tür, der unsere Bedingungen erfüllt. Dazu gehört, unsere Geschichte mitzuschreiben und nicht seine eigene schreiben zu wollen. Im Übrigen interessiert einen potenziellen Investor kein einzelnes Spiel, sondern der Ligaerhalt oder nachhaltige Ambitionen.
Ist der Bayern-Sieg ein Beschleuniger für das Ziel, von derzeit geplanten 60 Millionen Euro auf 100 Millionen Euro zu kommen?
Ja, in der Bundesliga. In der 2. Liga müssten wir bei 40 bis 45 Millionen Euro landen (im Aufstiegsjahr 35 Millionen, die Redaktion). Schafft man in der Bundesliga die 100-Millionen-Euro-Marke nicht, wie sie zum Beispiel Augsburg oder Mainz längst erreicht haben, wird man auf Dauer wieder verdrängt. Insgesamt haben wir aber seit Jahren einen positiven Trend in vielen Bereichen, den größeren wie kleineren. Auch schon vor dem Aufstieg.
Ein, zwei Beispiele?
Wir begrüßen bald unser 20.000. Mitglied, wir wachsen ständig weiter. Wir sind quasi ausvermarktet, gehen in die Entwicklung neuer Angebote. Oder das Merchandising. Hier haben wir in der laufenden Saison bereits 2,6 Millionen Euro Umsatz erreicht, 2018 waren es noch 1,2 Millionen Euro. Unser Ziel muss es sein, als nächstes die Fünf-Millionen-Marke pro Saison zu knacken. Vieles, was auf den ersten Blick unrealistisch erscheint, ist trotzdem möglich, wenn man gemeinschaftlich anpackt.
Sie sprachen Transfererlöse an. Droht der Ausverkauf der besten Spieler nach dieser Saison?
Es wäre ein Traum, wenn jeder Stammspieler ein Angebot hätte, dann hätten wir eine Riesensaison gespielt. Aber das ist natürlich auch so der Fall. Sebastian Schindzielorz liefert beispielhafte Arbeit beim Umgang mit Ressourcen und der Einschätzung von Spielern ab. Thomas Reis vollendet mit seiner Authentizität und seinem Instinkt. Viele Spieler haben ihren Marktwert auf jeden Fall gesteigert. Wir haben junge Spieler wie Maxim Leitsch und Armel Bella Kotchap, die sich gut entwickelt haben, und etwas ältere Spieler wie beispielsweise Gerrit Holtmann, Danilo Soares oder auch Manuel Riemann, die hier auch aufblühen, weil sie sich bei uns wohlfühlen. Der VfL Bochum ist attraktiv durch sein Umfeld, seinen Spirit. Jobzufriedenheit ist vielen Spielern wichtig geworden, nicht nur beim VfL. Toto Losilla ist dafür ein Leuchtturm. Seine Identifikation führt zu Ruhe und das strahlt in seinen Leistungen aus.
Mehr Fans im Stadion können die Einnahmen weiter erhöhen, damit die coronabedingten Verluste von bisher gut neun Millionen Euro seit Ausbruch der Pandemie im März 2020 etwas lindern und zur Schuldentilgung beitragen. Zwei Jahre später, ab dem 20. März 2022, könnte es wieder zur Vollauslastung kommen. Wie oft haben Sie in dieser Saison eigentlich laut geflucht ob der ständig neuen Regeln und Beschränkungen?
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Es ist ein Riesenaufwand für unsere zuständigen Mitarbeiter, ein Knochenjob, für den man sich am Ende oft beleidigen lassen muss, weil man es bei der Kartenverteilung nie allen recht machen kann. Aber wir haben uns hier alle eine dicke Haut zugelegt. Wir versuchen, die bestmögliche, objektive Lösung zu finden, sprechen mit Fans und Fangremium, legen alle Zahlen, welche Gruppen wie viele Karten bekommen, so transparent dar wie kein anderer Bundesligaverein. Bei jeder Lösung aber gibt es Gruppen, die sich benachteiligt sehen. Der Frust dieser Fans ist ja auch verständlich. Vor dem Spiel gegen Bayern etwa gab es die Kritik, dass Stehplatzdauerkarten-Inhaberinnen und -inhaber zwei Karten erwerben können. Der Wunsch der Mehrheit der Ostkurven-Fans war es, dass jeder nur eine erhält, das sei fairer. Dies sehen aber logischerweise nicht alle so. Wir können immer nur versuchen, Verteilungsmodelle zu optimieren durch Kontakt mit den einzelnen Gruppen. Ich will aber nicht Jammern: Es betrifft alle Clubs.
Im Pokal steht das Viertelfinale an. Ein Einzug ins Halbfinale würde neben dem weiteren Imagegewinn garantiert mehr als zwei Millionen Euro einbringen.
Da bin ich abergläubisch: Es ist ein 50:50-Spiel gegen Freiburg, und mit den Zahlen beschäftige ich mich erst, wenn wir es gewonnen haben sollten.
Sieht der Plan wie in den vergangenen Jahren vor, keine Ablösesummen für neue Spieler im Sommer zu bezahlen?
Unser Modell aus ablösefreien Spielern und ausgeliehenen Spielern, für die wir manchmal auch eine Leihgebühr zahlen, hat sich bewährt. Wenn wir selbst Transfererlöse erzielen, könnte man einen Teil auch reinvestieren. Wenn nicht, gibt es auch nichts zu investieren, ligaunabhängig. Das war beim VfL übrigens schon immer so, seit Jahrzehnten. Sie wissen: „Aus wenig viel machen…“
Welche Schlagzeile möchten Sie im Mai lesen?
Nach dem erreichten Klassenerhalt: „Der Wahnsinn geht weiter!“