Essen. Die Streichung des Ringens aus dem Kernprogramm der Sommerspiele 2020 hat dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) heftige Kritik eingebracht. Noch hofft der Ringer-Weltverband (FILA), dass die Tür für seine Sportart noch nicht endgültig zu ist.

Das Olympia-Aus für die Ringer hat eine weltweite Protestwelle gegen das Internationale Olympische Komitee (IOC) ausgelöst. Nachdem die IOC-Exekutive am Dienstag in Lausanne die bereits in der Antike bekannte olympische Traditionssport aus dem Kern-Programm für die Spiele 2020 verbannt hat, sieht sich die Welt-Sportregierung dem Vorwurf ausgesetzt, sie opfere die Tradition dem Milliardenbusiness und ordne immer mehr dem Gewinnstreben unter. Zugleich scheint nicht völlig ausgeschlossen, dass das IOC sich selbst korrigiert und Ringen bei der 125. IOC-Session im September in Buenos Aires doch im Programm lässt.

"Diese Reaktionen sind normal, sie wären auch bei jeder anderen Entscheidung erfolgt", erklärte Thomas Bach, als IOC-Vizepräsident eines der 15 am Votum von Lausanne beteiligten Exekutiv-Mitglieder. Dann sprach er das Hauptproblem an: "Man muss die richtige Balance finden zwischen Tradition und Fortschritt."

IOC-Kritiker finden längst, dass dies nicht mehr gegeben ist, dass die Funktionäre dem Mammon schon zu viel unterordnen. Gefragt für das Olympiaprogramm sind vor allem spektakuläre, telegene Sportarten. Dafür wird auch der Traditionsbruch riskiert. Das Fernsehen gibt immer stärker vor, was für den Bildschirm in Frage kommt. Allein der TV-Riese NBC zahlt 4,38 Milliarden Dollar für die US-Rechte an den Spielen von 2014 bis 2020.

Anpassung an Trend und Zeitgeist

Das IOC passt sich Trend und Zeitgeist an: Bei Winter-Olympia (2014 in Sotschi 98 statt bisher 86 Wettbewerbe) wurde binnen weniger Jahre die Aufnahme von 20 neuen Disziplinen der Trendsportarten Snowboard und Ski-Freestyle durchgeboxt. Bei den Sommerspielen (zuletzt 302) platzt das Programm aus allen Nähten, darum müssen Traditionssportarten dem Zeitgeist Platz machen: In St. Petersburg berät die IOC-Exekutive darüber, ob nach Golf und Rugby (bereits für 2016 aufgenommen) künftig Karate, Squash, Baseball/Softball, Klettern, Rollersport, Wakeboard oder gar Wushu der Session zur Aufnahme für 2020 vorgeschlagen werden sollen.

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Der Ringer-Weltverband (FILA) hofft, dass er noch eine Chance erhält. Er will analysieren, was zur Entscheidung in Lausanne führte, und eine Strategie entwickeln. Sie zielt darauf ab, dass die IOC-Exekutive das Ringen bei ihrer Tagung Ende Mai in St. Petersburg doch zu den Vorschlägen bezüglich neuer Sportarten addiert, die bei der Session im September zur Abstimmung stehen. Ist der Druck auf das IOC aus der Sport- und Ringerwelt groß genug, dann ist das Ringen der Ringer um den Platz bei den Sommerspielen noch nicht verloren.

Deutsche Ringer fürchten Fiasko

Kommt es nicht dazu, fürchtet der Deutsche Ringer-Bund (DRB) das finanzielle und sportliche Fiasko, denn er hätte statt 1,5 Millionen künftig nur noch gut 500.000 Euro zur Verfügung. Während der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) derzeit jährlich rund eine Million an den Fachverband zahlt, wären es ab 2017 für eine nichtolympische Organisation kaum noch 100.000 Euro. Hinzu kämen nur 500.000 Euro Eigenmittel. DRB-Generalsekretär Karl-Martin Dittmann: "Wir könnten den Leistungssport nicht mehr finanzieren, kaum noch Trainer und Trainingslager bezahlen, müssten Personal der Geschäftsstelle einsparen."

DRB-Präsident Manfred Werner sagt: "Der Weltverband prüft derzeit, was zum Ausschluss durch die Exekutive geführt hat. Ziel ist es, durch eine starke Präsentation Ende Mai beim IOC in St. Petersburg eine neue Chance zu erhalten."

"IOC tötet den Olympischen Geist"

Die heftigste Reaktion nach der IOC-Entscheidung kam aus dem Mutterland der Spiele: "Das IOC tötet den Olympischen Geist. Wenn Ringen abgeschafft wird, sollte das IOC die Spiele in Olympische Business Games umbenennen", wetterte Kostas Thanos, der Präsident des griechischen Ringer-Verbandes, und warf dem IOC vor, es ignoriere mit dem Olympia-Ausschluss seine eigene Hymne. In dieser sei im zweiten Vers die Rede vom "Laufen, Ringen und Weitwurf".

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Proteste gegen die Streichung des Ringens kamen aus der gesamten Welt, vor allem aus Russland, dem Iran und den USA. "Ich hoffe, dass die Vernunft siegt und Ringen doch noch im Programm bleibt", sagte der russische Sportminister Witali Mutko, dessen Land seit Sowjetzeiten 93 Goldmedaillen buchstäblich errungen hat. In den USA, mit 53 Olympiasiegen zweitbeste Nation der Ringer-Historie, will man durch eine Unterschriftenaktion selbst US-Präsident Barack Obama für das olympische Ringen mobilisieren. (sid)