Bochum. . Das Klettern feiert in diesem Jahr in Tokio als Dreikampf Olympia-Premiere. Der Sport erlebt einen Boom. In Bochum gab es Deutsche Meister.
Wer nach Vergleichen sucht, um die Faszination des Kletterns zu beschreiben, landet schnell im Tierreich. Bei Spinnen und Äffchen. Wie die Athletinnen und Athleten am Wochenende bei der Deutschen Meisterschaft als Teil der Finals 2021 und eingebettet in das Programm der Ruhr Games im Bochumer Ruhrstadion im Speed-Klettern die Wände hochliefen, als mache es keinen Unterschied, ob sie sich in der Waagerechten oder der Senkrechten bewegten, erinnerte an eine Spinne, die an der Mauerwand entwischt. Wie die Kletternden dann scheinbar mühelos im Boulder-Wettbewerb über die bunten Griffe hinwegglitten, die nicht gerade zum Festhalten einluden, ließ einen unweigerlich an den von Baum zu Baum schwingenden Affen denken.
Essener Yannick Flohé holt Boulder-Titel
Regeln der Physik, Dehnbarkeit und Kraftbelastung eines Körpers – all das scheint an diesen Wänden für diese Athletinnen und Athleten aufgehoben zu sein. Besonders elegant gleitet Jan Hojer von einem Griff zum nächsten, er hält sein ganzes Körpergewicht teilweise an nur zwei Fingern. Selbst in der Welt dieser Ausnahmesportler ist er eine Liga für sich. Nur wenige wie etwa Weltcup-Starter Yannick Flohé aus Essen können mithalten. Der 22-Jährige bewies das in Bochum und schnappte sich – wie Afra Hönig (26, Landshut) bei den Frauen – den Boulder-Titel. Jan Hojer kann das verkraften.
Olympia-Premiere fürs Klettern in Tokio
Denn in Bochum ging es nicht nur um Titel, sondern auch um Präsentation der Sportart. Bei den Olympischen Spielen in Tokio (23. Juli bis 8. August) wird Klettern erstmals im Programm stehen. Ausgetragen wird ein Dreikampf aus Speed (Geschwindigkeitsklettern), Bouldern (Klettern in Absprunghöhe) und Lead (Seil-Klettern an der langen Wand). Spezialisten werden es schwer haben, jeder muss von allem etwas können.
Auf Jan Hojer trifft das zu. Neben Alexander Megos (27) ist der 29-Jährige für Olympia qualifiziert und eines der Gesichter des deutschen Kletterns. Der ehemaliger Gesamtweltcupsieger im Bouldern ließ sich auch einen Start in Bochum nicht nehmen. „Ich wohne in Köln, wenn man eine Deutsche Meisterschaft vor der Haustür hat, wollte ich mir das nicht entgehen lassen“, sagt er. „Es ist natürlich schön, dass wir bei den Finals dabei sein und diese Bühne nutzen können.“
Zahl der Kletterhallen und Mitgliederzahlen stark gestiegen
Generell sieht Jan Hojer den Klettersport in Deutschland auch jenseits der Alpen „ganz gut verbreitet“. Die Zahlen geben ihm recht: Allein im Ruhrgebiet entstanden in den vergangenen Jahren unzählige Kletter- und Boulderhallen. Die Mitgliederzahl des Deutschen Alpenvereins ist seit 2002 von rund 620.000 auf fast 1,4 Millionen Mitglieder gestiegen. Klettern liegt im Trend, der Sport boomt. „Ich glaube schon, dass das dadurch auch das Interesse am Wettkampfsport gestiegen ist“, sagt Weltklasse-Kletterer Hojer, der schon oft vor begeistertem Publikum in Deutschland geklettert ist.
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In Bochum zeigte sich an den grundverschiedenen Teildisziplinen Speed und Bouldern, was den Sport ausmacht: Spannung und Vielseitigkeit. Während es bei dem einen darum geht, wer am schnellsten eine 15 Meter lange genormte Route in die Höhe überwindet, sind beim Bouldern Kreativität, Kraft und Beweglichkeit gefragt. Beides fasziniert. Aber passt dieser Sport, der wie die weiteren Neulinge Skateboard und Surfen viel mit Lifestyle zu tun hat, auch zu Olympia? Jan Hojer sieht „keinen Grund, warum eine Sportart wie Klettern, die weltweit betrieben wird und so viele Menschen begeistert, nicht auch bei Olympia dabei sein sollte.“ Und: „Wir haben uns den Platz verdient.“
Das Ziel ist die Olympia-Medaille
Das „Wir“ ist in diesem Fall besonders passend. Denn wie Alexander Megos, der in Bochum nicht am Start war, hat auch Jan Hojer durch spektakuläre Auftritte – die stets gefilmt und via Social Media verbreitet werden – beste Werbung betrieben. „Alex und ich haben sicher unseren Teil dazu beigetragen, die Sportart zu präsentieren und für Aufmerksamkeit zu sorgen“, sagt er. Eine Olympiamedaille in Tokio würde das allerdings noch einmal potenzieren, das weiß Hojer. „Auf jeden Fall“, sagt er. „Dafür trainieren wir. Das ist unser Ziel seitdem feststeht, dass Klettern olympisch wird.“
Bis Tokio wird Hojer sich weiter akribisch vorbereiten. Immer wieder wird er dabei auch die Halle verlassen, um beim Klettern am Felsen „wieder Motivation zu sammeln“. Das Erschließen von den schwierigsten Routen am scheinbar blanken Felsen hat für viele Kletterer einen besonderen Reiz. Manche Athleten richten ihr ganzes Leben danach aus, eine einzige Route zu bezwingen. Jan Hojer jedoch sagt: „Ich habe keine Route, die mir wichtiger wäre als der Olympiasieg. Wenn ich mich zwischen einer Route und dem Olympiasieg entscheiden müsste, dann würde ich immer Olympia-Gold nehmen.“